Gestern eingekauft und im türkischen Supermarkt den Mitarbeiter getroffen, der mich letzte Woche aufgefangen und vorm Hinfallen gestützt hat, als ein furchtbarer Krampf mein rechtes Bein durchzuckte und mich niederprügelte (während ich leider so laut aufschrie, wie ich konnte - es gibt so viele Wege, sich in den Erinnerungen von Menschen zu verankern). Er strahlte mich an, fragte nach meinem Befinden und teilte mir dann mit, ich würde ihn an seine Mutter erinnern, nur würde ich mich zwar dick, aber schöner “tragen”. Hä?
So was hört eine Frau von 35 doch immer gern. Wozu mache ich mir eigentlich noch die Mühe, mich dezent zu schminken und in akzeptable Zelte zu werfen, wenn ich Männer um die 45 an ihre Mami erinnere? Mein Gesichtsausdruck muss dementsprechend motiviert gewesen sein, denn nun wurde er ganz aufgeregt, denn das hatte er ganz anders gemeint, wie ich mir aus türkischen und italienischen Vokabeln zusammensetzte: Seine Mutter sei auch eine imposante Frau, aber halt deutlich kleiner. Und für jemanden, der so dick ist, würde ich doch wirklich sehr gut so vor mich hin laufen und überhaupt ... wir kamen sprachlich nicht ganz so gut klar, weil er mir dann zu erklären anfing, ich sollte doch mit dem Rauchen beginnen, um meinen Stoffwechsel auf Touren zu bringen und ich dann dummerweise einen Spanier fragte, ob er nicht übersetzen könne. Blödsinn natürlich, aber er hat es tapfer versucht, obwohl er kein Türke war, wie ich spätestens dann auch wusste. Aber wie hätte ich den dann wieder stoppen sollen?
Es kamen noch einige andere Herren zur Hilfe, war ja auch ein schwerwiegendes Thema. Und so stand ich dann vielen zwischen gestikulierenden dunkelhaarigen kleineren Männern und sprach schön laut, da ja bekannt ist, wie das jedes Vokabelproblem löst .... und durfte darüber diskutieren, wie und warum eine Diät sinnvoll sei und dass ein pralles dickes Prachtweib wie ich doch nicht rauchen dürfe, das sei ja eine Schande und überhaupt, jeder müsse glücklich sein und Gewicht sei nicht alles und und ...
Genau genommen wollte ich eigentlich in dem Moment nur noch wissen, warum mir ständig so was passiert. Aber wen hätte ich das denn fragen sollen? Und in welcher Sprache? Ich teilte an einem gewissen Punkt der Gruppendiskussion dann allen entschieden mit, es gäbe halt auch dicke Leute und die wichtigen Dinge in meinem Leben seien alle bestens und danke für die Komplimente und tschüs.
Bei meiner Flucht um den Trockenfisch herum rammte ich die obligatorische Delegation aus Ghana, die zu dritt in anerkennendes lüsternes Gemurmel ausbrachen und mich von Kopf bis Fuss musterten (das dauert eine ganze Weile). Ich vermute, so was sollte gut fürs Ego sein - in mir aber weckt es Mordgelüste.
Wissen unscheinbare kleine Menschen überhaupt, was für ein Geschenk sie unverdient erhalten haben? Geht es noch schlichter als in einem langen grauen Mantel? Kann sich überhaupt jemand unter 1,80 m in meine Lage versetzen? In die Lage nämlich, IMMER aufzufallen wie ein gigantischer Paradiesvogel, auch wenn man lieber dezent für sich oder in Gedanken versunken wäre?
“In deine Gesicht immer Kommunikation und weit offen ist.” sagte der Mann an der Kasse freundlich und ungefragt. Tja. Wird schon stimmen. Was auch sonst.
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