Am frühen Morgen (na gut, um den Mittag rum) bei Kathinka vorbeigeschaut und auf die “10 Gebote für Magersüchtige” gestoßen, die einem Fan-Webring (!) entstammen. Zusammengezuckt bin ich bei dem von ihr fast beiläufig ergänzten Vermerk “früher hätte ich das direkt unterschrieben”.
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Diese 10 Gebote lauten:
- Du bist nur attraktiv, wenn du dünn bist.
- Dünn sein ist wichtiger als gesund sein.
- Um dünner auszusehen, must du entsprechende Kleidung kaufen, deine Haare schneiden, Abführmittel nehmen, dich verhungern - alles tun, um dünner auszusehen.
- Du sollst nie essen ohne Schuldgefühl.
- Du sollst dich selbst bestrafen für jedes Mal, wenn du Nahrungsmittel zu dir genommen hast, die dick machen.
- Du musst Kalorien zählen und deine Nahrungszufuhr konsequent daran ausrichten.
- Die Waage ist der wichtigste Maßstab deines Lebens.
- Abnehmen ist gut - zunehmen ist schlecht.
- Du kannst niemals zu dünn sein.
- Dünn sein und nicht essen sind Anzeichen von großer Willenskraft und persönlichem Erfolg.
Bitte richtig verstehen, das war kein Selbsthilfe-Webring, den Kathinka da gefunden und nicht verlinkt hat (und den ich auch kenne), sondern ist eine jubelnde Orgie auf das Klappern von Skeletten und das Erreichen des Selbstverhungern als Lebensziel. Dort steht bewusst nicht schlank, sondern DÜNN. Es geht darum, sich runterzuhungern und möglichst mager zu sein. Das hat nichts mit dem Erreichen von Idealen zu tun, das ist lebensgefährlich.
Ich bin ja nun als dicke Frau immer in der Position, dass mir eh kein dicker oder dünner Mensch glaubt (der mich nicht persönlich getroffen hat), dass ich mich ungehemmt, nicht unzufrieden sondern gelassen in meinem schweren Körper vorwärts bewege, statt als Frustschwein zu Hause isoliert vor mich hin zu fetten. Soll mir auch egal sein, meistens, denn es reicht ja völlig aus, dass es nun mal absolut nicht so ist 😉
Wenn ich sage, dass ich absichtlich ermagerte Frauen unscheinbar, unsichtbar, nahezu geschlechtsneutral und sogar echt hässlich finde und nicht “schön schlank”, wird das fast jeder auf mein eigenes Gewicht beziehen und für Neid halten. Aber ich empfinde es so, ich habe manchmal schon die Mitleidstränen in den Augen stehen gehabt, wenn ich so ein Hühnchen ihre Knochen umklammern und mit verschränkten Armen durch die Gegend stolpern sah in wallenden Gewändern und einem ausgemergelten Gesicht, das hinter bröckeliger Arroganz so überdeutlich aufzeigte “ich bin nur gut, wenn es wenig von mir gibt”.
Ich würde das auch finden, wenn ich 40 kg weniger wiegen würde. Das weiß ich, weil ich die ja früher weniger gewogen habe 😊 und es war auch da schon so.
Mich hat das “10. Gebot” heute erschüttert, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund. Vor ein paar Wochen hatte ich sehr schlimme Schmerzen in meinem Bein (alte Kriegsverletzung) und eine Stelle war auch geschwollen. Da habe ich mich aufgerafft und ein Heilfasten von 21 Tagen absolviert. Es hat gut geholfen, die alte Entzündung ist mal wieder abgeklungen.
Ich wollte nicht abnehmen durch das Heilfasten, sondern das Bein ausheilen. Ein paar Pfund Gewichtsverlust sind da nur ein netter Nebeneffekt. Und dann nach den geplanten 14 Tagen, während ich so vor mich hin fastete, hängte ich immer noch einen Tag an. Denn es war ja so idiotensicher und kinderleicht, viel angenehmer als Kochen, Einkaufen, sich um intelligentes Essen kümmern. Das Bein war ja auch ein guter Grund.
Anfangs waren 21 Fastentage ein fast unerreichbares Ziel, weil es mir ja vorher so schlecht ging. Dann aber ... Ich hätte ewig weiterfasten können, aber ich habe dann an dem “Zieldatum” aufgehört in dem täglich wachsenden Bewusstsein, dass es ein Zeichen des Versagens und der Schwäche gewesen wäre, es sich weiterhin mit der monoton beschränkten Energiezufuhr so einfach zu machen, statt sich auf einen einigermaßen normalen Alltag einzulassen.
Denn es ist nicht das Erreichen eines besonders tollen Ziels, über einen längeren Zeitraum nichts oder ganz wenig zu essen. Es ist ein Totalversagen der Hirnregion, eine Alltagsuntauglichkeit und ein Zeichen dafür, dass man kein normales Leben mit einem intelligenten Essverhalten auf die Reihe bekommt.
Ich habe mich über mich erschreckt, als ich an dem 21. Fastentag überlegte, noch 10 anzuhängen ... und das ist gut so, dass ich mich erschreckt habe. Und nun vergleicht dieses Bewusstsein, dass Weiterfasten ein Versagen gewesen wäre, doch bitte mal mit dem “tollen” zehnten Gebot.
So müssten diese “Leitsätze” lauten:
- Egal was du wann wiegst, du bist grundsätzlich mal OK.
- Eigene Gesundheit ist wichtiger als fremde und eigene Ideale.
- Du kannst lernen, dich zu akzeptieren und dich und deinen Körper anzunehmen.
- Wer dich nur akzeptiert, wenn du schlank bist, ist kein Mensch von Interesse, sondern eine Belastung und Zumutung, die du dir vom Hals holen musst. Das gilt auch für Verwandte.
- Du musst nichts an dir verändern, um zufrieden zu werden. Du kannst, aber du musst nicht, denn die Gründe für Zufriedenheit und Unzufriedenheit liegen woanders.
- Du musst wieder lernen, Tag für Tag für Tag mit Nahrung ganz entspannt und normal umzugehen.
- Dein Körper braucht Nährstoffe, damit er dich noch den Rest deines Lebens trägt.
- Vergiss die Waage, einmal im Monat reicht.
- Dein persönliches Wohlfühlgefühl muss dein persönliches Wohlfühlgefühl sein, nicht ein von den Medien erzeugtes unerreichbares Zerrbild.
- Ob du dick oder dünn bist, interessiert doch keinen wirklich. Außer dir selbst. Du solltest dir im Großen und Ganzen gesehen wirklich mehr wert sein als ein Streben danach, dich klein zu machen und größtenteils verschwinden zu lassen 😊
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