Was sagen Sie denn zu den Vorwürfen, ...


Was sagen Sie denn zu den Vorwürfen, man müsse exhibitionistisch und selbstdarstellerisch sein, um ein Weblog bzw. Diary zu haben, Frau Heine? Immer die selben fünf Interviewfragen, von jedem. Warum eigentlich?

Was ich dazu sage? Dieser Vorwurf böser Selbstdarstellung erinnert mich an vorwurfsvoll erhobene Zeigefinger, an hastiges Zurechtstutzen eines jeden, der aus der Menge ragt. Es schwingt ein selbsternannt-erziehungsberechtiges Gesabbel mit, die urdeutsche Gartenzwergmentalität der inneren Einmischung: Was Unserer Hoheit von der beschränkten Sichtweise missfällt, das darf nun mal nicht sein. Das könnte ich dazu sagen (und hab ich diesmal übrigens auch). Irgendwie hat es ja auch was mit Neid oder mit einer eigenen Betroffenheit zu tun, wenn andere es nicht ertragen, Leute einfach leben zu lassen, wie auch immer sie sind - sogar wenn das Auffälligkeiten beinhaltet (dazu sag ich weiter unten noch was).

Oder: Sich nach Spiessern zu richten, ist Zeitverschwendung. Oder: Mein aufrichtiges Beileid all denen, die zum Lesen gezwungen werden, mit vorgehaltener Waffe vermutlich
😉

Mir ist am Wochenende wieder mal klargeworden, dass man in manchen Situationen am besten einen Disclaimer auf dem T-Shirt tragen sollte. In etwa mit dem Spruch “du fragst nach meiner Meinung, ich sage sie dir. aber das heisst nicht, dass ich dann von dir erwarte, sie kritiklos zu übernehmen”. Je nachdem, wie empfindlich jemand auf ein Thema anspricht, sollte man vielleicht die Frage nach der Meinung mit einem höflichen “Möchtest du nicht lieber stattdessen noch ein Glas Wasser?” beantworten. Dabei war es wieder mal ganz harmlos. Eine tolle und sehr kompetente und beruflich erfolgreiche Powerfrau meinte, wenn sie in so eine Lage käme (wie ich: Nicht mehr im Hauptjob arbeiten können und sich neu orientieren müssen), würde ihre Wohnung zwangsversteigert und ihr Leben sei hinüber. Ich habe widersprochen: Jemand mit soviel Wissen und Energie würde doch nicht untergehen, sondern sich neu orientieren, etwas Eigenes beginnen, weiterschwimmen! Nein nein, das sei nicht so, dann sei es vorbei.

Dummerle das ich bin, missverstand ich diese Aussage als mangelndes Selbstvertrauen und schlug potenzielle Wege und Möglichkeiten für Neuorientierungen in diesem gar nicht eingetretenen Fall vor, bekräftigte mehrmals meine Meinung, dass sie unwahrscheinlich viel auf dem Kasten habe in jeder Beziehung und solche Existenzängste nicht haben müsse. Nein. Es sei dann vorbei und man ginge dann in Rente.

Ein Teil von mir will einfach nicht begreifen, dass so ein Schicksal nicht als schlimm, sondern als geil erstrebenswert empfunden wird. Ein Teil von mir will beruhigen und stützen, wo es gar nicht erwünscht ist, weil gar keine Kraft nötig ist. Ein Teil von mir hat von mir kräftig eins auf die Fresse bekommen und wird sich nie mehr einmischen 😉 und glücklicher Weise habe ich das schon VOR Samstagabend beschlossen und so gab es nicht mal Zoff. Nur eine unangenehme kleine Gesprächspause, weil ich nicht zustimmte, sondern schwieg (denn ich weiß, das ‘berufliche’ Leben ist so schnell nicht vorbei - wenn man nicht will). Aber die war ganz ganz ganz kurz. Denn ganz ehrlich, für mich ist es nicht so wichtig, ob einer gesund in Rente geht oder nicht und das geht mich auch nichts an. Aber ich hatte da bisher immer ein Problem gesehen, wo es gar keins gab - und ich bin nun mal ein problemlösungsorientierter Mensch *g* Da kann ich nun wieder nicht aus meiner Haut, für mich sind Probleme etwas, das man konstruktiv angeht. Nur muss es dafür welche geben, und ich habe völlig übersehen, dass das nicht so war.

Das ganze letzte Jahr über war ich viel zu nah an dem Überlebensthema dran, nur dass es bei mir wirklich um die Existenz ging. Es wundert mich also im Nachhinein nicht, dass ich meine Sicht der Dinge nicht von diesem Thema lösen konnte: Man hat zwangsläufig eben manchmal das Gefühl, manche als eher unwürdig empfundene Leute “mitzuernähren” und ich schleppe wie einen Bleischuh auch immer so ein schwammig undefiniertes Verantwortungsgefühl (“wenn das alle machen, zerreisst das soziale Netz, also mache ICH es schon mal sowieso nicht”) mit mir herum. Aber jetzt kann ich dazu schweigen und muss mich nicht mal dazu zwingen. Sollen doch alle machen, was sie wollen. Tue ich ja auch.

So hat sich ein angeekeltes Würgegefühl aus meinem Hals gelöst und ich habe dadurch wieder ein großes Stück Freiheit dazu bekommen. Wenn sich das Älterwerden mit solch grandioser Gelassenheit paart, dann nehme ich noch eine Tasse davon. Mit Sahne, bitte.

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