Reality bites back [nicht der Film, sondern meine private Offline-Version.]

Es gibt Menschen, die melden sich bei dir, weil es so praktisch ist, dich zu kennen. Sie behalten dich sozusagen in ihrem Schmuckschächtelchen für Gelegenheiten, wo es ihnen passt, weil sie Fragen an dich haben. An jemanden, der sich mit Computern prima auskennt, mit Texten, mit dem Internet. Man hört nicht oft oder regelmäßig von ihnen, das macht aber nichts – denn wenn man sich auf eines fest verlassen kann, dann darauf: Sobald sie etwas brauchen, melden sie sich sofort. Und dann laden sie dich ein, auf den lange abgesprochenen Kaffee, den man schon immer mal ... und sie freuen sich ja so, dich zu sehen. Sie freuen sich viel mehr als du selbst. Denn da war doch noch was: Es ist nämlich so ungemein praktisch, dass man sich kennt.

Sich kennt - und sich auskennt.

»Abi will ich nachmachen«, sagt sie also. Und blinkert erwartungsvoll mit längst fältchenumrundeten kullerigen Baby-Augen – ein alterndes Mädchen, fast so süß wie das ebenfalls wieder versehentlich erzeugte zweite Kind, das jetzt (nicht mehr ganz so niedlich wie anfangs) energisch daran arbeitet, Zartbitterschokolade auf ewig mit dem Sofa-Stoff zu verbinden. Kind Nummer Eins pubertiert und ist glücklicherweise nicht da, um meine Konzentration zu stören. In meinem Schädel klingelt nämlich ein Glöckchen.

Dieses Gespräch kenne ich, das hab ich schon in verschiedenen Variationen und mit noch mehr Personen geführt. 

Abi nachmachen, Ausbildung nachholen oder Fortbildung starten, Kurse belegen, endlich, endlich, endlich »was für die Zukunft tun«, das übers Heiraten und Mutterschaft hinausgeht. Was Haltbares soll es diesmal sein. Und jetzt mit Nachholbedarf: Weil’s früher nicht ging wegen dem ersten Verhütungsfehler oder wegen Krankheit oder wegen Liebe oder wegen Faulheit und Blödheit oder wegen Schicksal oder weil’s eben nicht ging oder alles auf einmal. Jetzt muss ganz eilig alles ganz anders werden. Und da ist es doch so praktisch, dass man jemanden weiß, der als sehr hilfsbereit bekannt ist.

Tja. Es war einmal vor langer, langer Zeit. Da half ich jederzeit bereitwillig und über fremde Amibitionen erfreut beim Zusammentragen von Adressen und Ansprechpartner, besurfte hilfreich das Internet und bearbeitete viele unerfreuliche Lebensläufe von unglaublich chaotischen Leuten nach, bis aus ihnen wenigstens auf dem Papier Potenziale wurden.

Und wenn ich dann mehrere Stunden oder Tage verschwendet hatte und sehr viele sehr lange und sehr anstrengende Gespräche geführt habe, endete es immer und unweigerlich damit, dass am Ende gar nichts geschah. Die Person sich hauptberuflich an ein Fliessband stellte. Oder schlimmer, ein Kurs an der VHS wurde belegt: Aber garantiert in irgendeinem BLÖDSINN, der den betreffenden Menschen wahlweise überforderte oder den zu belegen beruflich gar keinen Sinn ergab. Eine “Fortbildung”, die dann auch nicht durchgezogen wurde. Aber das war ja vorher klar.

Und dazu sagen kann und darf man dann natürlich nichts, das sollte man auch nicht. Ein paar Dutzend Stunden Hilfestellung berechtigen noch lange nicht zu einem konstruktiven Einwand oder gar einer Einmischung. Denn jeder muss sein eigenes Leben leben, planen oder auch nicht. Ist ja auch in Ordnung so.

Aber diesmal ist ein Detail anders. Diesmal fall ich nicht rein auf »ach, ich hab da mal ein paar Fragen und du kannst mir doch sicher helfen, so wie dem X damals«. Meine Zeit verschwende ich lieber komplett untätig auf der Plauze liegend und dösend als schon wieder damit, auf drei Umwegen von jemandem subtil enttäuscht zu werden, der eigentlich nur das Gefühl haben will, etwas zu tun. Statt was zu tun.

»Abi will ich nachmachen«, sagt sie also und strahlt mich an mit diesen Kulleraugen, die ihr schon so oft Hindernisse aus dem erwachsenen Weg geräumt haben. Ich gratuliere herzlich, aufrichtig sogar - und muss dann leider gehen, ich war doch nur auf einen Kaffee gekommen und muss nun weg, die vielen Fragen verblüfft mitten im Raum stehen lassend. Unbeantwortet, versteht sich.

Denn wenn sie genug Biss und Brain dafür hat, es zu packen - dann schafft sie’s jederzeit locker auch ohne mich.

8 Kommentare Reality bites back [nicht der Film, sondern meine private Offline-Version.]

  1. Avatar Oli D. 04.09.2003 um 16:06 Uhr

    Hi!

    Ja, solche Leute kenne ich leider auch. Was mich zu der Überlegung geführt hat: Wieso gehen Leute zur Volkshochschule? Also sowohl als Lehrer wie auch als Schüler? Als Lehrer wohl, weil man seinen gelernten Beruf nicht mehr ausüben kann. Und als Schüler weil man keine andere Möglichkeit hat. Und bei so einem Umfeld, das geprägt ist von Einschränkungen und Eingeschränkheit ist es kein Wunder wenn es selten zu einem vernünftigen Ergebnis kommt.

    Meine 0,02€

    Oli

  2. Avatar Melody 04.09.2003 um 16:19 Uhr

    Hm, die VHS ist hier nicht das Problem: Die Kurse sind ja doch für viele Leute interessant, und die Lehrer sind auch teils ganz gut - die Kurse jedoch meist eher für Hobbys und Interessen.

    Kurse mit nur ein paar Stunden hier und da ersetzen keine echte Abendschule, und das Thema sollte sinnreich zu den Zielen passen.

    Ist alles nicht so einfach 😉 offensichtlich. Manche Leute sind beratungsresistent.

  3. Avatar damaris 04.09.2003 um 16:28 Uhr

    Hallo Katzenfrau,

    harte Worte - und aus deiner Sicht absolut richtig. Ich kenne das Phänomen…“Du könntest du nicht mal…” Der Mund fusselig geredet und entsetzt auf die Dummheit geschaut, die dann passiert - oder eben nicht passiert.

    Allerdings glaube ich immer noch daran, dass es Menschen gibt, die wirklich wollen - und nicht können. Zumindest nicht allein. Und wenn es nur so ist, dass sie denken, dass sie nicht können.

    Man könnte es auch so vergleichen “Ein Bild im Kopf zu haben, bedeutet noch lange nicht, dass der Pinsel dieses auch umsetzen kann”...

    Mir persönlich fällt es schwer, andere zu fragen und um Hilfe zu bitten - auch, weil ich Angst habe, dann nicht umzusetzen zu können /oder wollen, was mir geraten wurde.

    Wahrscheinlich gibt es immer die Extreme…

    Ich kenne sie nicht - eigentlich ist sie in der Betrachtungsweise auch vollkommen egal - aber ich hoffe, dass sie nicht wirklich wollte ... und nicht konnte.

    Oder eben nur denkt, dass sie es allein nicht schafft…

    Denn wie schon gesagt… manchen Menschen fällt es wirklich schwer um Hilfe zu bitten.

    Schade nur, wenn diese Einzelstücke im Sumpf des Bedienungsverhaltens anderer untergehen.

    Aber ich glaube, du weißt schon, was ich meine.

    Damaris

    PS: Manchmal braucht man aber auch genau diese (deine) Haltung des Gegenüber - um zu lernen, dass man es auch allein schaffen kann.

  4. Avatar Melody 04.09.2003 um 21:13 Uhr

    Hallo Damaris, wenn sie wirklich will, dann macht sie das auch. Schliesslich findet sie ANDERE detaillierte Informationen (über Fitness, über Diät, über Schönheits-OPs, über Piercings, über Urlaub etc ...) ja auch ganz alleine.

    Und ich kann auf Leute verzichten, die sich nur melden, wenn sie was brauchen und dann aus der Hilfe nicht mal was sinniges machen.

    😉

  5. Avatar Oli D. 05.09.2003 um 10:49 Uhr

    Beratungsresistent ist das Wort des Tages… 😊)

    VHS ist, wie Du schreibst schon OK. Nur gehen viele mit zu hohen Erwartungen hin. Und zu wenig Eigeninitiative.

    Aber ansonsten spielt das wohl auch in der Liga: “Ich will mir einen Computer kaufen, kannst Du mir da mal helfen, obwohl ich nicht weiss, was ich eigentlich damit machen will, der PC nichts kosten soll, und möglichst sich selbst erklärt?”

    Ciao

    Oli

  6. Avatar Melody 05.09.2003 um 10:53 Uhr

    Genau. Aber besser noch, das ist die Liga, der man fünf Wochen lang geduldig bei ihren spinnerten Computerkauf-Ideen zuhört, mit denen man überlegt, welche Firmenanwendungen sie zu Hause brauchen, mit denen man Prospekte wälzt und denen man Grundlagen vermittelt ... und die dann strahlend vor dir stehen und sich mal eben im Affekt stattdessen einen überteuerten MAC ohne jede Software gekauft haben, weil der ist ja angeblich besser, das hat der 14jährige Sohn des Nachbarn gesagt.

    Wobei es sicher Dinge gibt, für die ein MAC viel besser ist. Aber er ist bestimmt nicht besser für Leute ohne jede Ahnung, die im Büro bald auf MS Office unter Windows umgestellt werden und sich eigentlich genau deswegen ... aargh. Ich reg mich schon wieder auf 😊

  7. Avatar blue Flower 11.09.2003 um 10:35 Uhr

    Was du da oben schreibst kann ich voll nachvollZiehen. Ich kenne das noch von der Schule. Am liebsten waren mir immer die Primadonnen, die sich für was besseres hielten und dich die ganZe Zeit nicht mit dem Arsch angesehen haben und womöglich noch über dich gelästert haben - bis die nächste Physikklausur kam. Diese *** habe ich ein paarmal mitgemacht - man glaubte noch an das gute in denen. Beim letZten mal habe ich dann die üblichen 13 DM verlangt, die ich damals für eine Nachhilfestunde von Fremden genommen habe - ihr wisst schon, ein Lehrer kommt Zu euch und fragt, ob man nicht einem 5-Klässer Nachhilfe geben möchte. Naja und dann haben die sich einen anderen gesucht, den sie dann nach bestandener Klausur wie Zuvor weitergepiesackt haben. So is´ es halt das Leben.

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