Ratgeber für den Umgang mit Nervensägen (1)

Was tun, wenn man auf nervtötende Verhaltensweisen trifft und aus verschiedenen Gründen (“Wer sich mit einer Person des anderen Geschlecht im Körperflüssigkeitsaustausch betätigen will, muss freundlich sein”) den Ort des Zeitdiebstahls weder verlassen kann noch will? Oder, anders ausgedrückt:

Was sagt man als Mann, wenn eine schlanke Frau sich darüber beklagt, dass sie zu dick sei?

Wir sprechen jetzt bitte nicht von essgestörten Menschen, sondern von ganz normal veranlagten und ebenso gebauten, die sich mit Photoshop-Produkten vergleichen und sich in die Idee hineinsteigern, sie selbst könnten übergewichtig sein. Jeder kennt die, sie sind die Fruchtfliegen des neuen Jahrtausends.

Was sagt man also zu einer eher schlanken Frau, die bei jeder passenden und vor allem bei jeder unpassenden Gelegenheit in gemischter Gesellschaft und auch sonstwo darüber klagt, dass sie zu dick sei?

Auf keinen Fall die Wahrheit.

Sie möchte jetzt nicht hören: »Du bist doch nicht zu dick, du bist eben Durchschnitt – wenn ich eines dieser endgeilen perfekten Supermodels treffen könnte, wäre ich schließlich nicht hier.«  Zwar ist die Antwort vermutlich näher an der Wahrheit, als es irgendjemand aushalten kann und man könnte den zweiten Teil des Satzes auch jederzeit weglassen, um sie erträglicher zu gestalten. Aber sie wird es nicht wissen wollen, eben weil es die Wahrheit ist.

Noch eine Antwort, die nicht in Frage kommt: »Daran kann aber doch nun wirklich niemand außer dir selbst was ändern.« Nicht ausprobieren. Die Antwort wird mehr Zeit verschlingen als die Protagonistin der Szene an einem schlechten Abend Nahrungsmittel von der Tankstelle rüberschleppen könnte.

Sie möchte lieber über ihre nichtvorhandene Speckrollen wehklagen, aber nicht auf der Suche nach Verständnis oder Anregungen, denn es gibt wirklich nicht viele Dinge, die sie jetzt hören will.  Es versteht sich von selbst, dass sie vor, nach und ohne PMS die merkwürdigsten Nahrungsmittel zu sich nimmt und dafür als originell bis niedlich betrachtet und liebevoll belächelt werden möchte - und trotzdem ständig darüber klagt, dass sie sich zu dick fühlt. Darüber darf man aber nichts sagen, ohne in endlose heulige Streitgespräche verwickelt zu werden.

Man kriegt auch keine Frau ins Bett oder in eine funktionierende Beziehung, die man vorher als Durchschnitt bezeichnet hat.

Die Wahrheit fällt also als Antwort aus.

Mitleid und Zustimmung sind aber auch nicht angebracht. Wer das nicht glaubt, kann es ja gerne mal versuchen, damit bildet man höchstens die solide Basis für einen Amoklauf der Dame. Richtig gefährlich wird es, wenn sie scheinbar darauf eingeht und mühsame Scherze über den eigenen Hintern zu machen beginnt, die sie sich aus amerikanischen TV-Serien abgeschaut hat. Stellungswechsel beim Sex wird dann auch zunehmend unwahrscheinlicher.

Nein, sie möchte wirklich nicht wissen, ob die eingebildeten Polster inzwischen so fest sitzen, dass auch andere sie inzwischen zu sehen meinen. Sie will einfach nur hören, dass sie schlank und wunderschön ist. Ohne es wirklich zu glauben, versteht sich. Nur hören will sie das, am besten immer wieder. Sie weiß natürlich irgendwie, dass sie eigentlich schlank ist, aber das Abrufen kontinuierlicher Beteuerungen macht ja auch Spaß, entspannt und entschlackt.

Die Lösungsansätze: Was sagt man also?

Wenn man davon ausgeht, dass es sich nicht um eine Person mit Therapiebedarf handelt, sondern um eine rundherum gesunde Frau, die einfach nur wie ein trotziges Kleinkind eine bestimmte Bestätigung immer wieder hören will, kann man entweder gar nichts sagen und hoffen, dass der IQ der Dame bei entsprechendem ‘Leidensdruck’ für Besuche im Fitness-Studio und eine Ernährungsumstellung ausreicht.

Oder man übt sich im enthusiastisch klingenden routinierten Widerspruch. Am sichersten wird es sein, sich ein freundliches Abstreiten jeglicher Speckpolster an der Frau zurechtzulegen und mit kleinen Variationen und echt klingenden Komplimenten zuverlässig abzuspulen, ohne in längere Diskussionen abzudriften. Diese Methode wird übrigens instinktiv von den meisten mit imaginären Polstern konfrontierten Gesprächspartnern gewählt, verspricht sie doch langfristig größere Stressfreiheit als alle anderen.

In seltenen Fällen wurden auch schon Erfolge durch ein energisch, aber mit ruhiger Stimme ausgesprochenes “Ach, lass doch den Quatsch!” verzeichnet. Vielleicht bringe ich da aber auch etwas durcheinander, ich habe in letzter Zeit aufgrund einer Anfrage viele Webseiten von Hundeschulen durchgelesen. Wäre ja auch zu schön (und erholsam), um wahr zu sein.


Ende Glosse.


Disclaimer:

Es handelt sich bei diesem Text um eine Glosse, nicht um eine Kampfansage an bestimmte, irgendwelche oder alle Frauen, die gerne schlanker und schöner wären.

Ich habe Fotomodelle getroffen, die wahrscheinlich nicht mehr als 12 Kilo wogen und diese Frauen waren auf Diät, weil sie sich einbildeten, der Bauch würde über den Hosenrand hängen. Mein vorsichtiger Hinweis an die lautstark Klagende, es gäbe um den Bauchnabel herum nun mal eine kleine Hautfalte, wurde mit einem sehr nachdenklichen Blick quittiert. Vermutlich hat sie überlegt, wie sie mir schonend beibringt, dass mir die Einschätzung wesentlicher Probleme allmählich abhanden gekommen ist.

Essstörungen sind eine furchtbare Sache. Umso wichtiger ist es, dass normal gebaute schlanke Menschen begreifen und wieder neu lernen, dass sie normal gebaute schlanke Menschen sind und sich weder in eine solche Störung hineinsteigern noch wirklich kranken Personen suggerieren, Schlankheitswahn sei völlig normal.

Es ist weder Aufgabe noch Absicht meiner Glosse, dazu hilfreich beizutragen.

3 Kommentare Ratgeber für den Umgang mit Nervensägen (1)

  1. Avatar Detlef 20.08.2004 um 14:48 Uhr

    Man(n) sollte wohl wirklich einfach die Klappe halten, denn egal welcher Kommentar, er ist in dem Moment falsch. ;o) Natürlich nicht ohne Interesse für ihr Problem zu zeigen.  Vielleicht wäre eine Varinte ein Kompliment, wie z.B. dass man an jedem Gramm, was sie mehr hat, etwas mehr zu lieben hat? Nee, funtioniert wahrscheinlich nur bis bestimmten glaubwürdigen Grenzen. Notfalls kann man vielleicht noch in einen Witz ausweichen, nach dem Motto “Fett drückt die Falten raus”? So kann sie zumindest wählen, was für sie das größere Problem ist, Pölsterchen oder Falten. ;o)

    Muss ich jetzt auch ein Disclaimer drunter setzen? ;o) Nee, merke selbst dass es in letzter Zeit notwendig ist hinnzwiesen, wie was zu interpretieren ist oder auch nicht.

  2. Avatar Melle 24.08.2004 um 18:12 Uhr

    Sehr schön sind auch gegenstandslose Eigenfigur-Kommentare männlicher Personen.

    Er: “Oh Gott ich bin ja so FETT!”

    Sie (ihn mit einem Finger in die Seite pieksend und das so malträtierte Stück Hüfte kurios begutachtend): “...nö, schwabbelt nicht zurück. Stück Kuchen?”

    Irritiertes Schweigen seitens der angepieksten Person.

    Ich spreche aus Erfahrung *g*

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