Es war kein gutes Wochenende. Ich verbringe ...

Es war kein gutes Wochenende. Ich verbringe sehr viel Zeit damit, Seite um Seite mit Text zu füllen und wieder zu löschen. Durch einen Zwischenfall ist es mir wieder sehr deutlich klargeworden, wie viele Lücken mein Gedächtnis hat. Vorher hatte ich mich schon fast daran gewöhnt, dass ich ständig etwas anderes sagte, als ich dachte. Man wirkt eben ziemlich behämmert am Telefon und wenn man sich mit Leuten trifft, lässt man am besten die anderen reden. Leider ist der Mensch ein Gewohnheitstier und ich war auch irgendwie so beschäftigt damit, mein erstes Jahr als Ex-Angestellte bzw. freie Autorin zu überleben, dass ich es immer mehr verdrängt habe.

Das schaffe ich jetzt nicht mehr. Ich werde wohl nie mehr wieder spontan und frei und einfach so eine Mail an einen Fremden schreiben. Es ist momentan jedenfalls zu riskant. Und ich will jetzt auch wissen, was genau los ist. Trifft sich also gut, dass der Spezialistentermin, auf den ich vier Monate warten musste, diese Woche ist. Ich bin irgendwie so verdammt wütend auf mein Sprachzentrum, auf mich, darauf, dass überhaupt jemand irgendwelche körperlichen Probleme haben muss. In dem ehrenamtlichen Projekt, an dem wir arbeiten, schiebe ich seit Wochen die Besprechung von Texten vor mir her, weil ich befürchte, dass ich nur Chaos anrichten würde. Aber die anderen sind auch noch da. Ich kann das alles nicht mehr aufschieben, weder den Arzttermin noch das Projekt noch irgendwas, ich tue es jetzt einfach. Pfeif auf den antrainierten Perfektionsanspruch, es reicht ja wohl, jeden verdammten Satz achtzigmal zu tippen und fünfmal laut Korrektur zu lesen. Bald werden die Katzen sich in perfektem Deutsch beschweren, nicht nur die Spracherkennung.

Ehrlich, ich hätte so richtig Lust darauf, nicht nur vertrotzt und mit über das Gesicht laufenden Tränen bockig immer weiter zu schreiben, sondern mich einem Gelage von Selbstmitleid hinzugeben. Das ist aber nicht so richtig drin, obwohl ich finde, das dürfte ich auch mal. Abgesehen von ein bisschen Gemaule geht das aber nicht. Erstens habe ich das große Glück, dass es mich bei Sachtexten nicht so überkommt und ich mir die Zeit so einteilen kann, dass ich meine Arbeit sorgfältig Korrektur lesen kann. Die Wörter, die heute fehlen, sind morgen da (dafür fehlen dann andere). Keine Ahnung warum. Meine Arbeit ist also nicht gefährdet! Das ist sehr, sehr wichtig. Warum also klagen, grmpf. Es war schon viel, viel schlimmer. Warum soll es also nicht immer besser werden?

Zweitens hab ich mein ganzes Selbstmitleid verbraucht, als ich nicht laufen konnte. Jetzt ist nur noch Wut da und ab und zu Verzweiflung, wenn etwas schiefgeht. Ich muss an Ilona und ihren Schlaganfall vor einigen Tagen denken. An Silvia, die unerklärliche Entzündungen in den Augen hat. An Silvi mit der transplantierten Niere, die jetzt wieder krank ist (ich hab jetzt fünfmal transsexuell geschrieben, ernsthaft - wenn das nicht bald aufhört, brülle ich noch die Nachbarschaft zusammen vor Genervtheit). An Kirstin, die einen Hirntumor hatte und an das kleine Mädchen aus der Klapse, die mir ihren Erfahrungsbericht über die Vergewaltigung durch ihren Onkel diktierte. Es gibt verdammt ernstere Probleme als einen Schluckauf im Sprachzentrum und wenn Ihr nicht lieb zu mir seid, werde ich Modedesignerin und Ihr müsst das anziehen, was ich entwerfe.

Eigentlich meinte ich ja was anderes, aber diesmal gefällt mir der Fehler richtig gut. Wenn jemand keine tomatenrote Wolle mag, so spreche er jetzt oder schweige für immer.

P.S. Oliver liest hier Korrektur. Nur falls sich jemand wundert.

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