Liebes Sofa, noch stehst du im Wohnzimmer und fleckst so vor dich hin. Du ahnst nichts Böses, wie denn auch: Deine anstehende Entsorgung ist für uns nun wirklich kein Anlass für Trauerarbeit. Zwei bis drei Jahre höchstens solltest du bleiben, denn ein Haushalt mit einem Perserkater ist kein Ort, an dem ein Sitzmöbel ein ewig langes Leben fristen kann. Fünf Jahre sind es nun geworden. Mal kratzte jemand an einer Ecke, dann wurde hier und da ein Faden gelöst und ein Katerchen mit Liebeskummer oder Eifersucht machte auch schon mal einen Fleck ins Polster. Nicht immer haben wir den rechtzeitig entdeckt, um ihn noch rückstandslos zu entfernen und so ist schon länger der Zeitpunkt erreicht, seit dem wir uns nicht mehr trauen würden, dich und deinen ausfahrbaren Federbettkern einem Besucher als Gästebett anzubieten.
Richtig perfekt oder ganz neu warst du leider nie. Denn schon beim Einzug frisch aus dem Möbelhaus “nebenan” brach die Spanplatte im Boden des Bettkastens ein, als die beiden Muskelaffen von der Spedition dich auf der Treppe zweimal kräftig fallen liessen. Ich hatte hohes Fieber und ein bis zur Hüfte dunkelrot geschwollenes und entzündetes Bein, stand in dieser völlig leeren Wohnung (meine vorherigen Möbel waren einem Deckeneinsturz zum Opfer gefallen und ich war gerade “eingezogen”) und obwohl ich beileibe nicht klein und schwächlich bin, wusste ich doch nicht, was ich zu dem 2 Meter großen und hochaggressiven Polen (oder Russen?) sagen sollte, der mir mit geballter Faust ins Gesicht rotzte: “Das schadet ja wohl kaum und ist so gut wie unsichtbar - oder glauben Sie, das Ding tragen wir jetzt wieder HOCH?!!!” Der andere Overall trat schweigend und feindselig mit voller Wucht gegen die Verpackung und spuckte (!) auf den gefliesten Wohnzimmerboden und ich spürte, dass ich nicht mehr lange stehen konnte und vor diesen beiden widerlichen Menschen auf den Boden sacken würde, wenn ich mich jetzt furchtbar aufregen würde. Also schwieg ich.
Sie gingen. Als ich das Möbelhaus anrief, um mich zu beschweren, wurde ich per Fax informiert, eine solche Reklamation sei nur direkt bei der Auslieferung möglich und die beiden Transporteure hätten keinen Frachtschaden verzeichnet. Die Bodenplatte deines Bettkastens hat also diesen gewissen Sprung, das sieht man ja nicht - nicht mal, wenn man ihn öffnet, denn der Sprung ist von unten. Trotzdem habe ich nie vergessen können, mit welcher Dreistigkeit diese beiden Möbelpacker es ausgenutzt haben, dass ich alleine und an dem Tag so erschöpft und fieberkrank war. Der eine wollte sogar noch ein Trinkgeld, stand fordernd und mit aufgehaltener Hand vor mir, daran erinnere ich mich genau. Bekommen hat er es nicht.
Ich hätte mich sofort und drastisch wehren müssen und es ärgert mich noch heute gelegentlich, dass ich es nicht tat. Aber zurück zu dir. Kein Wunder, dass sie dich fallen liessen.
Als Sofa bist du verdammt schwer, weil du einen Holzrahmen und ein Federkern-Gästebett enthältst. Die Treppe ist sehr steil, ich hätte dich niemals transportieren können und so habe ich es bei dem Riss in deiner Bodenplatte belassen, ich hatte wirklich andere Sorgen damals. Gäste haben auf dir geschlafen und mehrere Male erlebte ich ein kleines Drama, weil ein fettes Kätzchen in den offenen Bettkasten oder unter die ausgefahrene Matratze geflitzt war und wir das nicht immer rechtzeitig merkten. Eine Katze, die von einem Bettgestell zusammengeklappt wird, bekommt nämlich nicht genug Luft, um zu schreien. Sie muss sich darauf verlassen, früher oder später gefunden zu werden - meistens, nachdem Frauchen ein paar Stunden lang hektisch die restliche Wohnung durchsucht hat.
Dann kam das Jahr, das eigentlich dein letztes sein sollte: Aufgrund meiner Liebe zu den Katzen und den entsprechenden Auswirkungen habe ich immer so zweieinhalb Jahre für ein Sofa einkalkuliert. Mit ein bisschen Hingabe und Penetranz bei Räumungsverkäufen findet man auch zu einem relativ günstigen Preis ein einigermassen gutes Sitzmöbel und ich habe immer lieber ein bisschen weniger ausgegeben und öfters mal was Neues gekauft. Durch spontan eintretende Umstände, die ich später dann geheiratet habe, rutschten aber dann sämtliche Inneneinrichtungsgegenstände in den unwichtigen Bereich und jeder Pfennig ging ab jetzt für Telefonate, Internet und Bahnkarten drauf. Irgendwie passierte seitdem immer sehr viel anderes, aber seit letztem Jahr ärgere ich mich ständig darüber, dass du noch da bist:
Du bist fleckig, wir sitzen ohnehin so gut wie nie auf dir, auch Gäste sind bei dir nicht wirklich gut aufgehoben. Das Volumen täuscht, trotz viel Fläche sitzen höchstens drei Leute richtig gut, eher sogar nur zwei - und aus einer Ecke zwischen den Polstern schaut jetzt seit kurzem sogar ein winziges Zipfelchen Schaumstoff. Der Tisch hat sowieso noch nie gepasst, aber auch für den gibt es natürlich einen guten Grund und eine lange Geschichte (aber das will ja sicher keiner hören).
Fünf Jahre sind mehr als genug. Und so kann ich nur darüber lachen, dass mir gerade eine Katze auf den Arm gehüpft ist, als ich ein Glas Fruchtsaft trinken wollte. Macht nix. Noch vor Ostern wirst du zerhackt und in den Sperrmüll gestellt. Unzerhackt bekommt man dich diese Treppe nämlich wirklich nicht hoch.
Was die Katzen wohl sagen werden? Sie mögen dich sehr. Ich werde einen Toast auf dich krümeln 😊 während ich mich ganz untreu schon auf die Nachfolger freue.
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