Wartezimmerflocken

»Aber,« sagte sie. »Um eine Oma zu sein, müssten Sie doch erst mal Enkelkinder haben, und dazu sind Sie viel zu jung.« Ich schwieg. War ein bisschen beschämt darüber, dass ich salopp den Ausdruck »Oma« verwendet hatte, um spätere Lebensjahre anzudeuten. Nun hielt sie mich für zu jung, dabei könnte ich ein viertel Dutzend Enkelkinder haben, wenn ich vor 20 Jahren mit Verhütungsfehlern ins Mutti-Business eingestiegen wäre. 

Sie lächelte mich an und ich hatte für eine Sekunde lang das Gefühl, dass man ihr anvertrauen konnte, wie mir manchmal das kalte Grauen vom Rücken her ganz nach oben schwappte, wenn mich jemand mit Nachwuchs konfrontierte, der den Eltern wie aus dem Gesicht geschnitten aussah. Oft auch gar nicht oder das genaue Gegenteil. Aber manchmal eben doch. Eine Gefühlsaufwallung, die ich zwar sehr gut hätte erklären können, von der ich aber wusste, dass ich die Details für mich behalten musste. Hätte sie es verstanden?

»Fünf Kinder habe ich. Das erste bekamen wir mit 37.« Sie sprach nun sehr leise. Erst dachte ich, das leise Wimmern wäre meinem Kopf entkommen, der wirklich gar nicht wissen wollte, wie gebärfreudig man in meinem Alter theoretisch sein könnte. Aber dann sah ich den Schweißtropfen, der ihr die Stirn hinunterlief an den nun geschlossenen Augen vorbei, und die zitternden Hände. Ich fing sie gerade noch rechtzeitig auf, lehnte sie vorsichtig zurück an die hölzerne Lehne und lief los, um ein Glas Wasser zu holen.

Noch keine Kommentare Wartezimmerflocken

HINWEIS: Kommentieren ist in diesem Eintrag nicht mehr möglich.