Volk der Dichter und Dichter

Wieder war eine Kurzgeschichte in der Mail. Nicht Spam, sondern anders unpersönlich. Ich kann es mir nur so erklären, dass jemand auf meine Site surft ... sich daran erinnert oder dazu berufen fühlt, auch zu “schreiben” ... dann eine Geschichte raussucht oder erstellt und mir diese mailt ... ohne so weit zu denken, dass ich eine Anrede, eine Erläuterung und eine Begründung benötigen würde, sogar wenn ich interessiert an Tonnen fremder Texte wäre.

Diese Leute sehen auf meiner Homepage “hat Bücher geschrieben” und dann macht es Klick und der fremde Bedürfnisbefriedigungsapparat kontaktiert mich hemmungslos.

Man sollte doch meinen, dass solche Menschen (die ja auf eine bizarre Weise ihr ganzes Herzblut an den Traum hängen, SCHRIFTSTELLER zu sein oder zu werden) sich mehr Mühe geben würden, wenn sie ihre Schätze in die Welt schmeißen, aber das ist nicht so. Ganz seltsam sind diese Mails, besonders die “hier hast du, nun friss” Einleitungen.

Ganze Roman-Manuskripte bekomme ich nicht mehr, früher schickten die Leute manchmal 850 Seiten in Word einfach so rüber und erwarteten dann wohl ... keine Ahnung, was sie erwarteten. Heute steht über den zweiseitigen Kurzgeschichten oft ein dreiseitiger Disclaimer, was mir alles zustoßen würde, wenn ich die kostbare Idee STEHLE, die mir ohne mein Einverständnis anvertraut wird.

Ich lese diese Texte nicht. Wenn ich Zeit zum Lesen hätte, würde ich mich in den nach und nach auf Vorrat gelegten Bücherstapel einsinken lassen, der hinter mir und um mich herum wie eine Schimmelschicht wächst. Nur scheinbar unbeachtet, warten diese Bücher auf die nächste ruhige Phase. Die auch kommen wird.

Für mich sind die unentwegt anrauschenden, unverlangt (und ohne Nachdenken!) eingesandten Manuskript-Splitter ein weiteres Zeichen dafür, wie oberflächlich, dumpf und egozentrisch unsere Gesellschaft sich entwickelt.

Man muss schon völlig in seine eigenen Belange verstrickt sein, wenn man davon ausgeht, dass andere was damit anfangen können und es ohne Erläuterung verstehen, wenn man ihnen brockenweise “selbstgebastelte Literatur” mailt.

Was für eine Erwartungshaltung an die Welt.

Aber ab und zu ... da schreibt ein Kind. FanFiction nennt man das wohl, wenn ein aus der Kommerzliteraturwelt oder aus Fernsehserien bekanntes Motiv oder eine Person aufgegriffen und weitergesponnen werden (“Wie ich Ferien auf Hogwarts machte”). Obwohl ich es von einem Kind gar nicht erwarten würde, schreiben die Kleinen in der Regel nachvollziehbar und fast höflich dazu, was sie möchten: Beachtung und eine positive Beurteilung ihres Textes nämlich 😊

Und diese Texte ... lese ich dann auch.

Noch keine Kommentare Volk der Dichter und Dichter

HINWEIS: Kommentieren ist in diesem Eintrag nicht mehr möglich.