The Politics of Dancing (Re-Flex)

Der Mann sieht gelassen und unbeeindruckt wie immer aus, doch ich habe ihn eben dabei beobachtet, wie er sich schnell mal eben das DVD-Cover durchgelesen hat. Gestern hatte er noch eine Frau, die sich neulich das gekauft hat, was die Kaltmamsell eine Tüftelimüfteli-Bluse nennt. Deswegen gekauft

hat, weil die Reaktion darauf von Anfang an und immer wieder lautete: »Boah, es ist unverschämt, wie ARTIG du darin aussiehst!« Naja, und die obere Grundausstattung kommt gut zur Geltung, das sollte man nicht vergessen.

Es ist Tüfteli, aber in Kombination mit einer halbwegs klassischen Jeans und dem postorgasmischen Körpergefühl ist es ebenfalls ein Zungenkuss mit Frühlingsaroma. Ich wollte wie die anderen Mädchen eben auch so rosa Flatterzeugs haben, ob ich damit dann in die Öffentlichkeit gehe oder mich auf Rollenspiele im weiteren Bekanntenkreis beschränke, das ist noch wieder was anderes. Es stimmt schon, ich sehe unglaublich harmlos, artig und sehr lieb darin aus, man weiß nie, wann man das mal brauchen kann. Aber zurück zum Thema.

Jedenfalls hatte er also gestern noch Tüftelimüfteli und heute gibt es New Wave zum Frühstück. Der Mann sieht nicht wirklich so aus, als ob es ihn stört, doch er bewegt sich mit größerer Vorsicht durch die Wohnung und sieht aufmerksamer aus als sonst um diese Tageszeit am Wochenende. Ich bekam handgebrühten Kaffee ans Bett und ich weiß, dass er vermutlich unaufällig darauf achtet, welchen der Songs ich mir anhöre und welche Lyrics ich lückenlos mitsinge. Labour of Love. Denke ich. Eben hat er mir spontan gezeigt, mit welchem Button der Fernbedienung man ein Lied vorspringt. Ich hab’s auch nicht immer leicht hier.

Während ich mir angesichts von Bananarama ein Quietschen verkneife (genau! solche kleinen Stiefelettchen hatte ich auch!), verlässt der Mann das Zimmer und ich überlege, ob ich mir diese DVD noch mal ohne Sound gebe. Nur gucken und erinnern. Der Mann wurde vermutlich gerade eingeschult, als ich einem Duran-Duran-Doppelgänger auf den Schoss kletterte und meinen ersten Kuss einforderte, nachdem ich auf etwas, das ich hier nicht erwähnen möchte, mit gekreuzten Fingern geschworen hatte, dass ich 17 Jahre alt sei. Bekommen habe ich ihn nicht, den Kuss. Das weiß ich noch. Es ist sehr demütigend für eine Frau von 13 Jahren, acht Monaten und vier Tagen, wenn ein reifer Mann mit frischem Führerschein sie zu jung findet, so was verwindet man nie. Ich hatte vier Wochen lang überlegt, was ich anziehe, um spontan und überraschend frontal auf ihn drauf zu krabbeln und hatte mir stundenlang auf dem Klo die Lippen angebissen, damit sie feucht und rot aussahen, und dann das!

Viele Jahre später habe sogar ich gewusst, warum sich das Nick-Imitat danach in der Disco immerzu in meiner Nähe aufhielt, mich dauernd anrief, wiederholt zu Hause besuchen wollte und sich immer wieder danach erkundigte, wie es mir geht. In jenem Sommer aber war ich einfach zu blöd, zu jung, zu unerfahren und hatte Glück, weil ich weiter vor mich hinträumen konnte ohne jegliche Konsequenzen oder Desillusionierungen. Oder Nick II war zu blöd, denn wer mein Tempo nicht mithalten konnte, kam sowieso noch nie in Frage.

Der Mann lernte in der Zwischenzeit Lesen, Rechnen und Schreiben und viele andere Dinge, die er ausnahmslos besser kann als ich. Von mir konnte er später eigentlich nur noch lernen, dass man sich mit einem gut durchgeplanten Haushalt und den entsprechenden Einkäufen nur alle zwei Wochen Kleidung anziehen muss, wenn beide Urlaub haben. Und dass es Katzen in jeder Größenordnung gibt, die ganz anders sind als sein Kater Felix.  Alles andere hat er sich bestimmt wieder selbst beigebracht. Es ist ganz gut, dass der schöne Nick II zu dämlich war, um mein schmachtendes Herz zu erobern, denn so weit ich informiert bin, wird es immer noch weder gesellschaftlich akzeptiert noch ist es besonders unkompliziert, zwei von ihnen zu haben. Schade eigentlich.

Bevor ich jetzt rübergehe und ihm sage, dass er sich diesen Eintrag anschauen soll (Freigabe-Erlaubnis wie immer, wenn ich ein Herzkammerflimmern notiere), höre ich zum dritten Mal den guten alten Feargal Sharkey, der nun wirklich rein gar nichts über die Liebe weiß: A good heart is hard to find. Da weiß ja ich sogar mehr, nämlich dass alles gerade erst anfängt. Man kann nicht suchen. Nur finden und gefunden werden.

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