Tears and Fears

Kalte Panik aus dem Nichts. Das Telefon klingelt und ich hebe ab – ein Bekannter, den ich viele Jahre lang schon kenne. Sehr viele Jahre. Und er möchte sich dafür entschuldigen, dass er mich am helllichten Tag betrunken angerufen hat vor ein paar Wochen. Und ich sage ihm klipp und klar, dass ich meine deutlichen Worte vor den drei Wochen nicht bereut habe, denn ich will und ich werde nicht mit einem Besoffenen reden.

Er entschuldigt sich - und lallt nach ein paar recht souveränen Sätzen ganz leicht, heute hätte er aber nicht viel getrunken.

Und ich merke, wie mir die Fassung wegbricht und ich auflegen möchte oder ihn anschreien. Ich kann nicht mal mehr die Augen offen halten, so deutlich sehe ich ihn vor mir und weiß, wie es ihm geht. Statt mit Worten schieße ich mit Eisnadeln und erkläre ihm so kalt und klar getextet wie irgendwie machbar, dass er mich nie wieder anrufen soll, wenn er getrunken hat. Nie wieder. Niemals wieder.

Die Betroffenheit seinerseits quillt fast durch den Hörer und ich weiß, ich habe ihm sehr weh getan. Ich weiß auch, dass er mal sehr viel für mich empfunden hat und es wohl immer noch tut. Und deswegen hoffe ich, meine Stimme ist eiskalt und klar in sein vernebeltes Hirn gedrungen und hat ihm weh getan. Damit er wach wird. Damit er zu Verstand kommt.

Nadeln aus Eis. “Man betrinkt sich nicht an einem Mittwochmittag und auch nicht in einer Montagnacht. Das ist eine Frage des Lebenswandels und der Kultur. Das hat damit zu tun, wie viel man sich selbst wert ist. Ein erwachsener Mensch mit Beruf und Verpflichtungen trinkt vielleicht einen Wein zum Abendessen, aber nicht zwölf zum Brunch.”

Er war völlig verstört, wollte darüber reden. Ich legte auf - und ich sitze hier und zittere. Denn ich habe das ernst gemeint, ich will nie wieder in meinem ganzen Leben mit einem betrunkenen Gewohnheitstrinker sprechen müssen.

Mir geht es so schlecht, aber auf die weite Entfernung und mit den unterschiedlichen Arbeitszeiten war das Einzige, was ich für ihn noch tun konnte ... ihm weh tun, damit er wach wird.

Ach. Warum muss das Leben nur immer so schmerzhaft sein.

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