Gestern wieder ein frühmorgendlicher Endokrinologentermin und ich spät dran, also kopfüber in eins der wenigen T-Shirts gesprungen, die noch locker Spielraum haben und los. Schon auf dem Weg zur Straßenbahn wurde mir klar, dass ich dieses bunte, fatalerweise quer gestreifte Shirt wahrscheinlich nicht mehr in der Öffentlichkeit anziehen werde. Es bringt die Körpermitte zur Geltung wie es ein rosa Tüll-Tutu bei Biena Maja tun würde – kleinere Personen aus der Nachbarschaft begrunzten auf Hüfthöhe mit freundlichen Grußlauten meinen Bauch, ohne mich einen halben Meter drüber auch nur zur Kenntnis zu nehmen.
In der Straßenbahn saß mir ein reizender älterer Herr gegenüber, dem plötzlich die Tränen in den Augen standen. Seine Kinder sind inzwischen 45+ und haben aus verschiedenen Gründen – die ich bis zur Innenstadt alle noch erfuhr – keine Enkelkinder geliefert und er wünschte uns/mir alles, alles Gute und gratulierte zu dem großen Mut, sich auf eine Familie einzulassen. Verlegenes Füßegescharr vom Businessmenschen, der den anderen Platz in der Vierergruppe besetzte und bald nicht mehr wusste, wohin er gucken sollte: Auf die interessiert glotzenden stehenden Passagiere, auf den gerührten älteren Mann oder die knallbunt gestreifte Riesenkugel.
Ungestörtes Lesen in der Bahn kann ich wohl bis auf weiteres aufgeben.
Im übervollen Wartezimmer des Endokrinologen dauerte es nicht lange, bis allgemein über die besten Babyvornamen abgestimmt wurde, während ein Missgunsthuhn darüber philosophierte, dass Schilddrüsenerkrankungen ja eventuell auch vererbt würden. Missgunsthühner finden mich überall. Entweder sind es frühzerfallende Schrumpelstöcke mit einem Lollipop-Kopf, die früher mal 7 Pfund Übergewicht hatten und mir nun ungefragt erzählen, dass meine Knochen darunter leiden, dass ich zu schwer bin und dass ich es ihnen nachtun solle, was den Abbau von Persönlichkeit und Körperfett angeht. Oder es sind etwas molligere Damen mit Kurzdauerwelle und sozialpädagogischen Ambitionen, die im Verlaufe der Wechseljahre alle Hemmungen verlieren und ihre leider meist eher beschränkten Lebensweisheiten weitervermitteln möchten, koste es was es wolle. Gerne auch in Aufzügen oder an anderen Orten, die ein Entkommen erschweren. Diese abgelaufene Wartezimmerhenne wurde von einem drittel Dutzend jüngeren Frauen energisch niedergequasselt, die ihre Familienplanung alle wohl noch nicht abgeschlossen und trotzdem eine Schilddrüsenerkrankung hatten.
Die fünfte Blutabnahme in dieser Woche und ein Update über die Familienprobleme der netten Arzthelferin, die es stets beim ersten Anlauf schafft, mir oben auf dem Handrücken Saft abzuzapfen. Der Endokrinologe erzählte mir dann, wie seine neue Laboreinrichtung mit einem Kran angeliefert worden war und wie die Praxis bald umgebaut wird, damit das Wartezimmer nicht immer so voll ist. Mir war das genau so recht wie das neununddrölfzigste Gespräch darüber, dass ich weiter engmaschig überwacht werden muss, und unterhaltsamer war es sowieso.
In der Straßenbahn ein großes braunes Neufundländerbaby kennen lernen. Nach Hause kollern und pragmatisch jeden zurückgrüßen, der dem gestreiften Bauch zunickt, zuwinkt oder ‘Hallo’ auf Nabelhöhe sagt. Vorm Spiegel prüfen und von mir selbst bestätigt bekommen, dass die Bauchphase überschritten ist, in der bunt quergestreift noch in der Öffentlichkeit tragbar ist.
Der Mann findet das Shirt ganz toll. Aber der wartet ja auch schon seit Wochen gespannt darauf, ob sich endlich mein Bauchnabel nach außen stülpt.
Herrlich erzählt! *lach*
Und was ist nun mit dem Bauchnabel? Stülpt er?
(So weit habe ich es leider nie geschafft mit dem Bauch, ich hätte ihn aber auch gerne mal gestülpt gesehen. 😉
hallo, ich bin neu hier, aber ich komm jzz öfter ;o)
ich würd ja zu gern ein foto von der gestreiften riesenkuller sehn…
viele grüsse, silke
“...abgelaufene Wartezimmerhenne…” mann, ich lach mich schlapp. was müssen sie auch immer für tolle worte erfinden… *g*
Missgunsthühner, denn lässt Dir aber bitte patentieren, oder?
Sehr schön, ich finde sichtbare gestreifte Babymädchenbäuche aber auch schöner, wenn sie so schöne Straßenbahngeschichten verusachen!
Noch stülpt sich nix, aber das kann sich durchaus noch ändern 😊)) Fotos von der Kugel, ohje ... ich glaube, besser nicht, und das Streifenshirt wird jetzt zum Nachtshirt degradiert.
Die Welt wäre schöner ohne Missgunsthühner, aber sicher nicht so abwechslungsreich 😊