Straßenbahn

Eigentlich wollte ich lesen, aber dann stiegen Peter und sein Freund ein und setzten sich mir gegenüber. Peter hatte sich gerade frisch die Hand aufgeschrammt und fluchte ausgiebig alle Flüche, die er sich in den letzten 70 Jahren aufgesammelt hatte. Als er fertig war, gab ich ihm ein Taschentuch, er tupfte die Wunde halbwegs trocken und in Ermangelung anderer Möglichkeiten pappte ich ein Compeed-Sohlenpflaster quer über seine Handfläche. Da ich jetzt ja quasi sein Leben gerettet hatte, gab es kein Gesprächsausweichen.

Aber das wollte ich auch gar nicht, denn wir befanden uns sowieso schon längst in einer Diskussion darüber, warum seine Enkel zwischen 17 und 22 so selten zu Besuch kämen und warum heutzutage überhaupt jeder ein blödes Handy und Internet brauchen würde. Sowas würden die Enkel nicht hören wollen, meinte ich einfach mal so auf Verdacht, schliesslich würden die Handys sowieso nicht wieder verschwinden und diese Kids müssten sich nun mal in einer modernen Welt bewegen und zurechtfinden - vielleicht kamen sie ja selten zu Besuch, weil sie keine Lust darauf hatten, ständig zu hören, dass ihre Interessen blöd und überflüssig seien? Das brachte Peter gut in Wallung. In freundlich interessierte, gestikulierende und lebhafte Wallung, nicht die andere Sorte, die kein Mensch braucht. Leider musste er aussteigen, als wir uns gerade darauf geeinigt hatten, dass er Handys ja einfach mal so hinnehmen könnte.

Auf der Rückfahrt stieg eine dunkelrotgefärbte ältere Frau ein, der jemand auf den Fuss trampelte - versehentlich, nehme ich an. Daraufhin begann sie zu brüllen und zu schimpfen, in Düsseldorf seien die Leute ja sowas von scheisse, so aggressiv, so laut, so nervig, sie würde zum Karneval sowieso lieber nach Köln fahren, so! Und noch mal von vorn, und dann noch mal, und noch mal. Sie erheiterte den ganzen Waggon von vorne bis hinten, von Kopftuch bis Kinderwagen und als sie endlich ausgestiegen war, brachen wir alle zusammen in kollektives Gelächter aus. Hat sie ja hoffentlich keiner gezwungen, die Stadt zu betreten.

Entsetzlicherweise stellte ich dann fest, dass ich mitten drin aussteigen kann und dann in einer Ecke lande, in der ein Starbucks, Subways, Strauss Innovation, ein Bio-Bäcker, ein Bio-Metzger und drei Dutzend Supermärkte sind, ganz furchtbar bequem mal eben am Weg nach Hause. Gefährliche Sache, das. Ich werde lernen müssen, damit umzugehen.

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