Auch Parfümerien sind Orte, die man mit leerem Magen nicht betreten sollte. Wieder was gelernt. Jetzt könnte man argumentieren, dass Lippenpflegestifte nicht unbedingt Luxusgüter sind, aber das erklärt noch lange nicht die Limonen-, die Zitronen-, die Melissen-, die Vanille, die Milch- und die Seidige-Sahne-Irgendwas-Haarspülung, die Vielfalt an diskret verpackten Gesichtsmasken und diesen Blutrausch, in den ich gerate, wenn mir irgendjemand seidig schimmernden Glanz für mein glattes und ohnehin glänzendes Haar verspricht. Merde.

Egal. Merken: Wenn man noch nichts gegessen hat, treibt man auch an solchen Orten irgendwas auf, meistens aber leider schokoladig, pappig, cremig oder gleich alles drei auf einmal. Blärgh. Wieso bin ich da rein? Die Knochen in meinem Knie sind heil, die Schmerzen kommen von irgendso einem Beutel, der gereizt ist. Nicht so gereizt wie ich, darauf könnte ich allerdings wetten.

Ich gehöre nämlich zu den ertappten und überführten Kriminellen, die nicht nur mit einer nicht mehr funktionsfähigen (weil vor DREI Tagen abgelaufenen und noch nicht durch die neue ersetzte) Krankenkassenkarte in einer Praxis auftauchen und versuchen, sich Röntgenaufnahmen auf betrügerischem Weg zu erschleichen. Nein, ich hab auch noch im Wartezimmer SMS geschrieben, ganz in Gedanken, weil zufällig eine kam und ich nicht so oft in Arztpraxen rumlungere, dass mir bewusst gewesen wäre, wie verboten das ist. [Als Chee mir das schrieb, hab ich aus Trotz noch mal schnell geantwortet.]

Also vor Ort in dieser Praxis mehrere Frauen noch nicht ganz mittleren Alters kennen gelernt, die toll in Übung sind, was einen abgestumpft pädagogischen Tonfall und alltagserprobte Belehrungen über völlig unwichtige Dinge angeht. Was in aller Welt bringt solche Tanten dazu, die Jahre heftigsten Familiendaseins auf eine Erziehungsposition den Mitmenschen gegenüber auszudehnen – Mangel an anderen Qualifikationen eventuell? Mit der Sprechstundenempfangsthekendame musste ich leider reden, da sie mich zur Rede stellte wegen der abgelaufenen Karte.

Aber das Mutti im Wartezimmer hab ich abtropfen lassen, und zwar ohne zeitraubende Diplomatie im Mittelfeld. Nein, die Bezeichnung “das Mutti” für dumpfe HaushaltsvorsteherInnen im annähernd geschlechtsneutralen Look auf Dauerdiät, unterwegs in der Mission “wir erziehen das Umfeld dann mal gleich mit, aber niemals unsere Mundwinkel nach oben” stammt nicht von mir. Wenn mich jemand darauf hinweisen möchte, dass Handys ausgeschaltet werden müssen, ist das völlig OK. Aber ein nölig anhaltendes Gezetere über die schlimmen Störungen an ganz wichtigen Geräten, die sich vermutlich acht Zimmer weiter befinden ... das muss ich mir nicht geben.

Die Oma schräg gegenüber fing dankbar an zu kichern und hörte nicht mehr auf, bis ich zum Arzt durfte, der seine Schraubstockfinger in mein Knie bohrte, mich wegen des Karten-Verbrechens dann auch noch mal zur Rede stellte und durchblicken ließ, behaupten würden ja immer alle, dass sie mit der neuen Karte noch mal wiederkämen. Nur täten sie’s dann nie. Warum wohl, frage ich mich, die Dellen in meinen Knochen betrachtend. Auf das Röntgenbild musste ich nicht lange warten, auf die Erläuterung und die Wiederholung der Anmahnung der Karte schon. In der Zwischenzeit hatte ich die drei Bildchen schon mit dem Anatomieposter an der Wand verglichen und wusste, dass ich vermutlich keine Knochen zu viel im rechten Bein habe und dass nichts ab- oder zersplittert war, das ich so als Laie mit bloßem Auge erkennen konnte. Das hat mir dann auch so weit gereicht.

Nur dieses “und denken Sie dann auch an die Karte” zum Abschied hätte nicht sein müssen. Das treibt einen ja zwangsläufig durch die nächste offene Tür eines Konsumtempels, damit man nachsehen kann, ob die anderen Kärtchen denn noch willig sind. Nun. Ich rieche gerade sehr schön nach Vanille. Vanille-Creme aus überteuerten Keksröllchen, versteht sich. Wer mich kennt, weiß, dass ich Parfüm nicht mag. Oder brauche 😊