Schwester Rabiata

Seit einem Jahrzehnt beobachte ich mit wachsender Ungeduld die sich ebenso oder stärker verbreitende Marotte, dass Nahrungsaufnahme in gemischter Gesellschaft zu einem anstrengenden und aufwändigen Kulthobby wird. Wo man früher noch kochte und die Gäste freuten sich oder nicht, hat man heute die Aufgabe, im Vorfeld sämtliche Allergien, Vorlieben und Abneigungen abzuklären und sich womöglich auch noch danach zu richten, weil sonst der Egozentriker-Kindergarten losbricht und am Ende noch irgendjemand schmollend in den nicht aus Rohmilch aufgekochten Schokoladenpudding glotzt.

Der eine ist hysterischer Veganer und hielt das bis zum Eintreffen am Tisch leider geheim, die nächste spontane Neurodermitikerin und der dritte im Bunde mochte noch nie weißen Spargel und hat sich bei der Ankündigung »Spargel mit frischen Kartöffelchen« nun wirklich nicht denken können, dass es keinen grünen Spargel gibt. Alternativ. Der Arme. Man gönnt sich ja sonst nichts und die lieben Mitmenschen sind der edlen Fünf-Sterne-Gastronomie gleichzustellen, auch wenn genau jener Mensch sich sonst abwechselnd durch Mutterns fettige Hausmannskost oder von stinkender billigster Wurstabfall-Currywurst ernährt – sobald zu Gast, werden höhere Ansprüche entwickelt. Und die Gastgeberin könnte kotzen. Schon ohne gespeist zu haben.

Nein, es ist nicht lustig und ich fand es auch nicht lustig. Hätte ich grünen Spargel gehabt, er hätte ihn sich aus den Augenhöhlen wieder rauspulen dürfen. Es ist nervtötend und es ist anstrengend und ich wünschte mir oft, ich wäre stumpf genug drauf, um mich einfach auch so aufzuführen. Aber das schaffe ich nicht. Ich lebe nun mal nicht in der irrwitzigen Erwartungshaltung, jede Mahlzeit meines Lebens nur edelste Speisen exakt nach meinen Geschmack zubereitet zu mir zu nehmen, ich nehme das (dem Gast geschenkte) Essen auch schon mal gerne einfach so, wie es kommt – und bin dann froh, nicht selbst kochen zu müssen. Aber die anderen scheinen irgendwie immer schwierigere Esser zu werden. Einer nach dem anderen.

Oliver* isst keinen Käse, seine Schwester keine Tomaten, Nicole verweigert Ananas und Marlies möchte nichts vom ALDI. Und so weiter und so weiter. Jeder kann ohne nachzudenken sofort eine Liste von Essensabneigungen aufzählen und wird dann auch erwarten, diesen Speisen nicht zu begegnen. Alles wunderbar, ich bin voller Verständnis. Ehrlich. Das bin ich eigentlich wirklich. Ich würde nämlich wirklich nicht erwarten, dass jemand irgendwas runterwürgt, das er oder sie nicht mag.

Aber eins möchte ich dann doch mal erwähnen: Leute einzuladen, für diese einkaufen und gar noch zu kochen ... wird allmählich zu einer irritierenden Geschicklichkeitsaufgabe und einer Freizeitbelastung, die das Ergebnis wahrlich nicht würdigt. Holen wir doch beim nächsten gemütlichen Beisammensein einfach eine kollektive drei kg Tüte Pommes aus der nächsten düsteren Imbissbude, lieblos fritiert in vermutlich fragwürdigem Fett. Denn die fressen dann erfahrungsgemäss auch die nörgeligsten Gourmets. Anstandslos 😊

* Namen NICHT von der Redaktion geändert. Dies ist nämlich eine Glosse und keine Klageschrift.

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