Me and the Muff

Unterwegs in der Stadt muss ich immer aufpassen, dass ich nicht zu lange in den Gesichtern der Menschen versinke, die ich gerne länger betrachten würde. Nicht nur, weil es unhöflich ist, jemanden anzustarren oder weil das Objekt der Beschauung sind angegriffen fühlen könnte. Sondern vor allem, weil ich jetzt genug Geschichten eingesammelt habe, die ich niemals hören wollte und die mir quasi entgegen sprangen, nur weil ich jemanden angelächelt habe, der mich beim Betrachten erwischte.

In Wartezimmern erfahre ich beispielsweise von jedem beliebigen Mitpatienten jedes eiternde Detail plus Besorgnis-Level der noch lebenden Verwandtschaft, das Eisbrechen dauert keine zwei Sekunden. Wohlgemerkt, ohne dass ich mich überhaupt darauf einlasse.

Denn das Eis, es bricht einfach. Dann schlägt das Mitteilungsbedürfnis der anderen über mir zusammen, als würde in meinem Gesicht der Hinweis fehlen, dass ich gar nicht zum Bekanntenkreis gehöre. Es kann jederzeit passieren, besonders aber schlägt der Abstandshalterfrass in Wartezimmern, an Kassenschlangen und in öffentlichen Verkehrsmitteln auf.

An der Bushaltestelle lerne ich alles über warme Schuhe, das liegt wohl an den dicken Klotschen, mit denen ich nun mal unterwegs bin. Neuerdings auch vieles über die Körpertemperaturen anderer Leute, denn Oliver hat mir zu Weihnachten einen Muff geschenkt (er hält ihn allerdings für eine Handtasche, immer noch) und Ariana dazu noch ‘Marktfrauenhandschuhe’ ohne Finger. Das inspiriert, vor allem die Damen. Ganz besonders jene, die schon lange keinen Muff mehr gesehen haben, die Idee aber gut finden.

In Bus und Bahn arbeite ich an einer statistischen Erhebung mit dem jetzt schon absehbaren Ergebnis, dass die meisten Düsseldorfer die tiefer gelegten Niederflurbahnen besser als die altmodischen finden. Das passiert einfach, denn sobald ich eine der ‘höheren’ Straßenbahnen beklettere, wirft sich irgendeine Oma beim Ein- oder Ausstieg mit ihrem Rollator kopfüber fast die Stufen hinunter und ich springe dazwischen und befördere das Gestell rauf oder rein. Dreimal letzte Woche. Das muss irgendwas bedeuten, nur was? Jedenfalls kommt man danach mit dem Inhalt der halben Bahn ins Gespräch, auch wenn man gar nichts sagt. Dabei würde ich lieber nur gucken.

Gesichter, meistens.

Vorhin habe ich eine hübsche quadratische kleine Madame mittleren Alters im schwarzen Nerz mit passender Mütze gesehen, die majestätisch vorne auf einem Klappsitz thronte und bis ins letzte Detail von Mäntelchen und Mimik so wirkte, als würde sie eigentlich auf einen Pferdeschlitten im sibirischen Schnee gehören. Hinten natürlich, mit einem dienstbeflissenen Kutscher auf dem Bock, für den der maßregelnde Gesichtsausdruck bestimmt war, mit dem sie in der Bahn uns Fußvolk bedachte. Ein dunkelroter Knospenmund auf sahneweißem Oval, garniert mit funkelnden Kirschenaugen und einem amtsanmassenden Blick, da fehlten wirklich nur noch die Lakaien.

Direkt daneben saß ein außerordentlich flippiges orangefarbenes Lederjäckchen mit vielen schicken Details und einer Dame mit Klämmerchen und Kämmchen im Haar, die auf den ersten Blick wie eine als 45jährige verkleidete 15jährige mit viel zu viel Taschengeld aussah und auf den dritten dann wie eine Frau über mindestens 40, die regelmäßig und viel in einen modischen Look investiert. Oder in einer Agentur arbeitet, in der sie in absehbarer Zeit aus den branchentypischen Altersrastern rutscht – oder die ihr gehört, was ein Herausrutschen selbstverständlich elegant verhindert.

Diese hübsche Brünette hätte ich sehr gerne länger und genauer angeschaut, denn sie wirkte kein bisschen lächerlich oder gewollt und das ist bei einem solchen Modezicken-Outfit in jedem Alter eine reife Leistung, die keiner einfach so in den Schoss fällt. Sie bloggte aber mit einem geringelten Stift auf einem Notizheft herum und sah sich dabei die ganze Zeit prüfend um, so dass ich mir immer nur Einblicke stehlen konnte, statt wirklich gut und lange hinzuschauen.

Sie würde garantiert nicht spontan damit anfangen, ihr Mitteilungsbedürfnis an Fremden auszuleben. Warum auch, wenn man schreiben kann? Wahrscheinlich entsteht in einem Paralleluniversum gerade jetzt ein Blogposting über Frauen, die zu gestreiften Hosen Skischuhe tragen und dabei auch noch mit Muff herumlaufen.

4 Kommentare Me and the Muff

  1. Avatar Pitty 12.02.2006 um 13:52 Uhr

    huhu da iss der Pitty-also nun muss ich ja schon noch ma den versuch unternehmen 😊 -der Andreas iss ja scheinbar der gleichen meinung-wenns schon damals nich der neu gekaufte Mister Blue Rechner geschafft hat dich zu motivieren,wie ich hoffte…-nun iss grad mal wieder ne sehr ausgeprägte sehr lebhafte phantasiephase bei Dir angebrochen die hoffen lässt 😊 -eine fortsetzung des romans liebe auf den ersten klick wäre sicherlich nicht mehr zeitgemäss-aber ich denke das Dir da sicherlich spielend tausen andere dinge einfallen würden-ich bin jedenfalls ungesehn der erste käufer wenns soweit iss! gruss aus dem schwabenländle vom Pitty 😊      P.S.:ich bleibe im übrigen dabei! Du bist die Beste!und nun kannste mir auch nimmer vorwerfen das ich keine anderen blogs gelesen hätte wie zum damaligen zeitpunkt noch *gg*

  2. Avatar melody 12.02.2006 um 17:22 Uhr

    Ach Pitty, was soll ich dazu sagen. Vielleicht hab ich irgendwann mal wieder mehr Lust, aber versprechen kann man so was nicht. Grüße ins Ländle 😊

  3. Avatar melody 12.02.2006 um 23:58 Uhr

    p.s. lieber Pitty, du weißt ja hoffentlich, dass ich mich über dein Lob freue. Irgendwann schreib ich auch wieder mal ein Buch, fast fest versprochen.

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