Mittwoch II

[13:48] Noch steht der Zug, und schon bin ich in die nächste Freundlichkeitssituation verwickelt: Ein dunkelhäutiger Herr versucht mich und sein Kind mit Bananen zu füttern. Ich muss gleich mal nachschauen gehen, ob „jetzt bitte dichtquäken“ auf meiner Stirn steht, aber ich glaube es eigentlich nicht. Ich habe einfach mal wieder richtig Pech oder das Glück, interessante Menschen kennen zu lernen, ob ich will oder nicht. Schön ist es auch, in einem Sechserabteil zu sitzen, das sich gerade mit einer Welle von Furzgeruch füllt.

Also ich war’s nicht.

Ist das jetzt besser oder schlechter als eine pensionierte Sozialpädagogin, die detailliert die Karrieren ihrer Enkel über mir ausbreitet? Ich muss an das niedliche ältere Pärchen von der Hinfahrt denken, die in Leer eingestiegen und bis Norden mitgefahren sind, um ihre inselreisende Tochter inklusive Enkelin zu begleiten und vor Stolz über ihre gelungene Überraschung förmlich glühten und die ganze Fahrt damit verbrachten zu erzählen, was sie dazu bewogen hatte, diese Kurzstrecke zu lösen.

Bis dahin schrieb ich und dann stieg Gabi aus Wuppertal ein. Blond, schwarze Lederjacke, schicke Krempeljeans, großen schwarzen Lederbeutel, tief gebräunt und mit einer Schraubstirn ließ sie eine Klischeewelle durchs Abteil waschen und wir vertieften uns quasi übergangslos in ein vermutlich nicht nur meinerseits wonnevolles Gespräch über 1-Euro-Jobs, Sozialschmarotzer, alleinerziehende Mütter, kinderfreie Frauen ab 35, das Wetter, die Schuhmode und das Rauchen. Gerade als wir kräftig ausholten, um zu Nahrungszusatzstoffen und dem seltsamen Verhalten wohnungsvermietender Insulaner in Saisonzeiten überzugehen, wurde unser 6-sitziges Raucherabteil von drei energischen Damen um die 80 gestürmt, die angeblich eine Reservierung hatten, auch wenn keine angeschlagen war. Das bedurfte der Klärung oder auch nicht, jedenfalls sorgte es für dahingluckernden Sabbelstoff.

Die drei Baltrum-Besucherinnen im maritimen Landhaus-Look und frischen Erfahrungen über das DB-Buchungssystem stiegen also ruckelfrei in das Gabi-Gespräch ein und ich nutzte die verbleibenden zweieinhalb Stunden, um mindestens eine ernsthaft gegen ihre Verwandtschaft aufzuwiegeln: Indem ich ihr nämlich erklärte, dass es keine milde Tat, sondern an der falschen Stelle gespart war, wenn man Oma aus Sicherheitsgründen ein altes klumpiges Handy vererbte, mit dem diese dann aber nicht zurechtkam, weil es eben doch ein bisschen arg alt war. Aufgeklärt darüber, dass Enkeltöchterchen sowieso alle 2 Jahre ein neues Handy für ihren Vertrag kriegt und auch, wie einfach mal schon ab 0,0 Euro einen eigenen abschließen kann, sah ich einen gewissen Kampfgeist aufblitzen und freute mich darüber, dass zumindest eine Dame sich selbst ein vernünftiges Mobiltelefon für ihre langen einsamen Waldspaziergänge wert sein wird.

Die zweite Dame nahm mit Interesse zur Kenntnis, dass ich aus dem Internet wusste, warum Heidi Klum ihren Kindsvater noch nicht geheiratet hatte und war hin und weg von dem Gedanken, künftig “low fat”-Kuchenrezepte online beziehen zu können. Ich stärkte sie mit ein paar Notebook-Bezugsadressen und schärfte ihr ein, sich keinesfalls das urolle PC-Möhrchen ihres Enkels aufschwatzen zu lassen, wenn sie Spaß am WWW haben wolle. Die Dritte saß mir mit frisch geschärftem Blick gegenüber und murmelte leise und ziemlich renitent: “Das wollte ich ja sowieso schon so lange! Das mach ich jetzt aber wirklich, wofür soll ich schließlich noch sparen!” Gerne bestätigte ich ihr, dass ich 83 Jahre keinesfalls für eine Grenze halten würde – wer auf Baltrum wandern kann, kann auch im Internet surfen.

Wir sprachen dann noch ein bisschen darüber, dass man sich im Falle von Boris Beckers unehelicher Tochter den Test ja hätte sparen können, da das arme Ding ihm ja so ähnlich sehen würde, philosophierten gehässig über Camilla von England (wobei ich den passiv zuhörenden und nicht den gehässig kichernden Part übernahm), diskutierten die unrealistischen Fotografien von Nahrungsmitteln im Goldenen Blatt und einigten uns darauf, dass man schon von Fettgedrucktem zunehmen könnte, wenn man denn Pech hätte.

Mitmachen ist viel besser als verzweifelt schweigen. Ehrlich. Einfach mal ausprobieren, wenn es sowieso kein Entkommen gibt.


In der anderen Welt wurden Mails versandt, Fragen gestellt, Geiseln genommen, während ich ans Meer und zurück reiste. Jetzt sitze ich vor dem heimatlichen PC; der ganz leicht auf und ab schwankt und schnurrt. Meine Schädelwände bewegen sich wellenförmig aufeinander zu und ich kann noch nicht entscheiden, ob ich noch Post öffne, schlafe oder noch vierzigmal wie in Trance dem Goblin einen Cookie droppe.

3 Kommentare Mittwoch II

  1. Avatar limone 02.09.2004 um 01:13 Uhr

    hm. ich habe meinem papa auch ein älteres nokia geschenkt, einfach weil meine eltern heftigst darauf bestanden, ein handy mit richtig großen tasten und ganz wenig menüpunkten zu kriegen - und mir ist kein neues bekannt, das richtig große tasten hätte, die werden doch immer winziger und komplexer… die beiden leutchen wollen nur telefonieren mit dem teil, sonst gar nichts, und außer “abheben, auflegen” und allenfalls telefonbuch wollen sie auch keine menüpunkte…

    ob die enkeltochter ähnliche motive hatte, vermag ich freilich nicht zu sagen.

  2. Avatar VolkerK 02.09.2004 um 11:12 Uhr

    Nehmen Sie die Bahn - genießen Sie Ihre Reise in vollen Zügen 😉 Nette Geschichte, ich freu mich auch schon auf meine nächste Bahnfahrt.

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