Manchmal hat man romantische Vorstellungen und weiß es nicht einmal.

Manchmal hat man romantische Vorstellungen und weiß es nicht einmal, bis man sich von ihnen verabschieden muss.

Als ich diesen kleinen Kater damals zu mir geholt habe, versprach ich ihm auf die goldene Pfote, dass ich mich immer um ihn kümmern würde. Auch wenn er krank und alt ist und sterben muss. Dabei hatte ich im Hinterkopf das Bild eines geschwächten Tieres, das vielleicht gesäubert und einzeln gefüttert werden muss und viel Zeit in Anspruch nimmt, die man dem kleinen Wesen dann gerne schenkt.

Nichts und niemand hat mich darauf vorbereitet, dass ein erstaunlich kräftiger und zäher, immerzu schnurrender kleiner Opa Stunde um Stunde in seiner Lieblingsschüssel stehen würde: Unfähig, sich bequem hineinzulegen. Er würde gerne trinken, aber es klappt kaum und dann schaufelt er mit den Pfoten in der Schüssel herum, hält den Kopf in den Wasserstrahl und irgendwann schlabbert er ein wenig.  Dieses Schnurren bei jeder Berührung und Ansprache, es bricht mir das Herz. Es geht ihm so schlecht, aber er freut sich über Liebe, Futterduft und Streicheleinheiten.

Mir wird langsam und krampfhaft klar, warum man in der Tierklinik immer wieder so eindringlich darauf hingewiesen hat, dass man nicht zu lange warten dürfe mit der Erlösung: Nein, es wird nicht so sein, dass er irgendwann elend zusammengeklumpt nur noch in seinem Lieblingskarton liegt und wir dann zweifelsfrei sehen werden: Jetzt ist es wohl soweit.

So einfach ist dieses Versprechen nicht zu erfüllen. Es wird eine Entscheidung geben müssen, und sie wird unter Zweifeln und Versagensangst geboren, unter Tränen durchgeführt werden und einen schmerzenden Nachhall hinterlassen. Eine leere Stelle, wo die Liebe in goldenen Knäueln herumlag und prachtvolle Sahnepfoten mit behaarten rosa Ballen ausstreckte. Trotzdem führt kein Weg um diese Entscheidung herum, und wir müssen sie nun sehr bald treffen.

Er kauert sich zu einem Häufchen bepelzter Knochen zusammen, trotz aller immer noch vorhandenen Neugier auf sein Umfeld. Mit viel Diplomatie und Geduld haben wir ihn auf eine Stelle bugsiert, auf der er halbwegs bequem liegen kann und darunter die Heizdecke angestellt. Dort liegt er jetzt, vermutlich weil er denkt, dass wir die Decke dort nicht für Katzen hingelegt haben, das sind ja immer die besten Plätze.

Jemand telefoniert mit der Verwandtschaft und erklärt nochmals, warum wir heute an diesem 80. Geburtstag tief im wilden Osten nicht teilnehmen, obwohl wir schon vor 2 Jahren für diesen Termin fest zugesagt hatten. Jemand hat einen Einäscherungsservice für Haustiere gefunden und beschlossen, dass der kleine Kater bald für immer in dem Garten bleiben darf, den er so liebt. Jemand sucht Adressen und informiert und beruhigt, und ich kenne diese Person kaum, wahrscheinlich wirkt sie von außen so kalt wie ein gut durchorganisierter Fisch.

4 Kommentare Manchmal hat man romantische Vorstellungen und weiß es nicht einmal.

  1. Avatar Susi 16.10.2005 um 21:35 Uhr

    Ach, Melody. Seufz. :-(

    Das Sterben gehört zum Leben, auch zu einem Katerleben. Und man kann sich den letzten Weg leider nicht raussuchen. Aber das weißt du ohnehin ...

    Aber Erinnerung bleibt. Immer.

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