Hart am Anschlag.

Allmählich gehe ich mir selbst auf die Nerven, aber ich funktioniere immer noch nicht wunschgemäß. Weder den Erwartungen anderer, noch meinen eigenen entsprechend.

Mir fällt es auch nach dieser “langen” Zeit noch zu schwer, die Mails der letzten Wochen zu lesen. Blogpostings und Foren habe ich noch gar nicht geschafft - ja selbst auf der Spenden-Website kann ich nicht lesen, nicht lange jedenfalls.

Erst öffne ich ein Browser-Fenster mit einem Text über uns, den Brand ... und dann wird es mir schon zu viel. Herzrasen, Druck und das Gefühl, irgendwas klappt über mir zusammen. So kenne ich mich selbst nicht. Dann flüchte ich mich zu Twitter, denn dort findet alles in leicht verdaulichen Häppchen statt.

Direkt nach dem Feuer musste ich funktionieren und mich normal unterhalten und auch möglichst normal wirken und durfte nicht zusammenklappen und schreien und weinen und hilflos sein. Das ging ja nicht.

Die Option stand einfach nicht offen.

Nach und nach fallen jetzt die Puzzleteile an ihren Platz. Vorgestern erzählte ich Tina, wie ich es während der ersten Tage nicht mal geschafft hatte, wichtige Nummern in mein Handy zu speichern und es mit dem Netbook auch gar nicht hinkriegte, Dokumente zu speichern (!), so dass ich mit einem Stapel zerfallender Notizen herumrannte, alles dreimal ausdruckte und immer wieder neu schrieb, was ich brauchte.

Das hatte ich zwischendurch schon wieder vergessen.

Jetzt sagt bitte nicht “da kann man doch um Hilfe bitten”. Schon mal jemanden um Hilfe gebeten bei einer absurd einfachen Sache, um dann freundlich informiert zu werden, weil man DAS doch nun wirklich können müsse? Das macht man in diesem atemberaubend gefährlichen Zustand nur ein einziges Mal, danach beißt man eben die Zähne zusammen und sich irgendwie durch, denn noch mehr von diesen “erstaunten” Blicken erträgt man dann einfach nicht.

Ich habe vielleicht nicht so gewirkt und habe scheinbar ja auch irgendwie funktioniert, aber ich war trotzdem vollkommen fertig.

Man konnte mir für satte 350 Euro den Sperrmüll verkaufen, wenn man die Vormieterin der Übergangswohnung war.

Man konnte ständig in den Resten meiner Wohnung herumschnüffeln, obwohl man dort nichts zu suchen hat/hatte.

‘Man’ konnte in unserem ganzen Leben herumschnüffeln und überall, wo man sonst nie willkommen wäre. 

Man konnte mich anbrüllen (lassen) und mir drohen und ich habe wunschgemäß reagiert.

Verletzungen. Grenzüberschreitungen. Große und auch viele ganz unmerkliche kleine, unerwartete.

Erfahrungen, die mir viel freundliche Durchschlagkraft verleihen und die mich für den Rest meines Lebens stählen werden. Denn an unguten Menschen zerbricht man nicht, die machen dich nur stärker.

Nicht härter, wohlgemerkt. Stärker.

Vor allem, weil sie große Ausnahmen waren in einer Zeit, in der uns ganz viele andere selbstlos und sofort geholfen haben.

6 Kommentare Hart am Anschlag.

  1. Avatar Nina 17.08.2010 um 11:59 Uhr

    Leute können diesen Zustand in dem du dich befindest erst dann nachvollziehen, wenn sie selbst ähnliches durchgemacht haben. Versuche dich an den Leuten festzuhalten, die zu dir stehen und dich unterstützen ohne zuerst Erwartungen an dich zu stellen.

    Du wirst diese Phase überstehen und danach auf jeden Fall stärker sein. Nebenbei weißt du dann auch, auf wen du dich wirklich verlassen kannst und welche Leute nur Fassaden trugen, die während dieser Schwierigkeiten heftig gebröckelt sind.

    Wir kennen uns nicht persönlich, aber fühle dich bitte trotzdem virtuell gedrückt. Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute.

  2. Avatar Silke 17.08.2010 um 15:38 Uhr

    Ich finde, Du hast Dich einfach wunderbar geschlagen und doch sehr vieles auf die Reihe gekriegt. Der Zustand, in dem Du Dich jetzt befindest ist für jemandem nach einer derart traumatischen Erfahrung völlig normal. Ich kanne dies, habe beim Lesen des postings gedacht - huch - so ging es dir auch vor einiger Zeit. Es geht vorbei und man kann es durchstehen.

    Vielleicht kannst Du Dir schnell Hilfe von außen holen - mir haben schnell Medikamente geholfen und längerfristig eine Therapie. Und es ist auch günstig, wenn jemand Vertrautes wichtige Entscheidungen gegenprüft.

    Wir kennen uns auch nicht persönlich und ich hoffe sehr, Dir mit diesem Eintrag nicht zu nahe getreten zu sein.

    Aber vielleicht hilft es - es geht vorbei und frau schafft es. Es geht nur nicht schnell.

    Viele liebe Grüße und fühle Dich bitte auch von mir virtuell in den Arm genommen.

    Alles Gute für Dich und Deine Familie Silke

  3. Avatar limone 17.08.2010 um 17:42 Uhr

    mich wundert überhaupt nicht, dass das hirn in solchen situationen aussetzt (jeder, der z. b. schon mal in einen - selbst kleinen - verkehrsunfall verwickelt war, müsste das kennen - da wird es schon zur aufgabe, einen notizzettel aus der tasche zu fummeln, ohne ihren gesamten inhalt auf die straße zu kippen).

    was mich eher wundert, ist die erwartungshaltung der umwelt. selbst wenn die eigene erfahrung einer solchen notsituation fehlt (was auf die meisten zutreffen müsste), müsste man doch wenigstens mit dem verstand erfassen können, was da passiert.

    dein fazit daraus finde ich gut: daran wachsen und erstarken. (eine salve sprichwörter, so gut sie passen würden, erspare ich uns jetzt. 😉 )

  4. Avatar Biggi 17.08.2010 um 18:20 Uhr

    Liebe, liebe Carola,

    ich habe noch nie in meinem Leben einen Menschen so bewundert, wie dich in den Tagen nach dem Brand. Jeden Tag aufs Neue hab ich gedacht, befürchtet: Oh Gott, heute bricht sie zusammen. Das hält sie keinen Tag länger aus. Sie brach nicht. Im Gegenteil.

    Du hast Unmenschliches geleistet, Kraft mobilisiert, von der ich bis dato nicht mal ahnte, dass man so viel davon haben kann und doch hat man sie. Wenn man muss. Nach all dem, was war, finde ich es völlig normal, dass du noch “nicht wunschgemäß funktionierst”. Das sollten andere nicht, das solltest aber auch du selbst nicht von dir erwarten.

    Ganz liebe Grüße an die schon vorher stärkste Frau, die ich kenne.

  5. Avatar creezy 21.08.2010 um 21:06 Uhr

    Ach so Schockzustände sind eine an sich ganz praktische Angelegenheit. Ich finde, das hat die Natur wundervoll in uns angelegt.

    Und hinterher mit Abstand auf sich und sein Handeln zu gucken bzw. auf den ganzen Irrsinn im Allgemeinen erfassen, ist letztendlich auch nur ein Faszinovum, ein sehr Menschliches.

    Mach Dir keine Sorgen, ich finde, Du hast bisher völlig im Rahmen und gut reagiert. Leider bleiben aber auch Dinge erhalten. Ich habe nicht umsonst diesen „Bitte klopfen – kleine bunte Katze hasst die Klingel“ an der Klingel hängen. Diese Klingel hat mich immer in die Nacht, als um 00:30 Uhr die Polizei vor der Tür stand und mich aus dem Schlaf geklingelt hatte mit der schlimmsten Nachricht, zurück katapultiert. Ich genieße sehr, dass sie jetzt schweigt. Aber solche Kleinigkeiten bleiben und werden lange erinnern …

    Allerdings kommt auch irgendwann ein Moment, wo man prima überreagiert. Zu Recht. Danach ist wieder alles ein Stückchen besser! ,-)

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