Haarige Angelegenheiten

So wie man in manchen Geschichten durch einen Spiegel in eine andere Zeit gehen kann, verschiebt sich die Wahrnehmung um zweieinhalb bis drei Jahrzehnte, wenn die Tür ‘meines’ Friseurs hinter mir ins Schloss fällt. Hier ist zwar alles hypersauber, aber garantiert schon eine Generation lang nicht mehr von Grund auf renoviert worden. antiker Charme Im heimeligen Rundumgilb tummelt sich ein halbes Dutzend berufstätige Mütter zwischen 40 und 60, die mit strenger Hand für einen zartgrauvioletten Oma-Einheits-Look auf allen verfügbaren Rentnerinnenköpfen sorgen (und das sind viele).

Für Mütter halte ich die angestellten Damen übrigens aufgrund des allgemeingültig weisungsberechtigten Tonfalls. Aufgrund meiner aufwändig erworbenen Vorurteile also, um es genauer zu formulieren. Vermutlich lässt sich diese freundlich-bestimmte richtungweisende Kommunikationsgrundhaltung aber auch in anderen geschützten Räumen als einer Familie mit Kindern erlernen. (Ein kleiner Friseursalon mit zementenen hierarchischen Strukturen beispielsweise bietet sich an, vor allem, wenn sich dort auch sonst nur selten etwas ändert.) Ich mag das ja, es amüsiert mich. Ist lustig dort, der Service ist gut und die Friseurinnen sind wirklich nett.

Die netten Damen dort im Zeitsprung-Salon also wissen genau, was gut für mich ist und ich wehre mich jeweils so lange dagegen, bis ich halbwegs kriege, was ich will. Da sich meine Anforderung auf »Spitzenschneiden« beschränkt, geht das meistens gut. Meistens. Manchmal werden aus den 3 angesagten Zentimetern auch plötzlich fünfzehn oder zwanzig, die sich später nur schlecht rückwirkend wieder anbringen lassen. Normalerweise aber verhandeln wir einfach geschlagene 10 Minuten wie auf einem orientalischen Basar.

Ich eröffne mit »nur die Spitzen, höchstens einen Zentimeter« und zeige mit den Fingerspitzen anderthalb cm an, woraufhin mir erst mal ein merkwürdiger geblümter Plastikumhang um den Hals gewürgt wird, um mich gefügiger zu stimmen. Dann rupft die jeweilige Dame mütterlich eine Strähne hoch, um sie mir vor die Nase zu halten und zu zeigen, dass mindestens ein halber Meter ‘ab’ muss, damit ich wieder ‘gesundes Haar’ habe. Wir diskutieren meine Vorliebe und ihre Wünsche und ich gebe dann nach einigem Gesträube die zwei bis drei Zentimeter bei, die ich von Anfang an geschnitten haben wollte. (Die Haare werden mir dann von einer zufriedenen Person geschnitten, das ist mir auch irgendwie wichtig.) Aufstehen und in dem tollen, sich hysterisch aufbäumenden Blümchenumhang unter der niedrigen Decke rumstehen muss ich dann trotzdem, denn die Zeiten des gemütlichen Herumlungerns in Frisiersesseln sind etwa 40 cm vorbei. Man kann von den Damen wohl schlecht erwarten, dass sie sich wegen mir auf den Fußboden setzen. Wo ich doch nur komme, wenn Gefahr besteht, dass ich bald auf den Zotteln sitze.

gilb und braun und risse in der Tapete Um weit hinten im Zeitsprung-Salon zwischen den anwesenden Damen aufgeteilt zu werden, muss man an einer kleinen Eingangstheke, einer großen Garderobe und einem merkwürdig bizarren Herren-Einheitsschnittverpasser-Salon vorbei durch einen schmalen Gang mit Abstellkammervorhängen. Vorne an der Eingangstür steht der Hinweis: »Wir bedienen Sie ohne Voranmeldung!« und jedes Mal, wenn ich komme und mein Sprüchlein aufsage, werde ich gefragt, warum ich keinen Termin gemacht habe. Wirklich. Jedes Mal. Ich habe es längst aufgegeben, mit mindestens zwei Fingern auf das Schild zu zeigen und verständnisbefreite Geräusche von mir zu geben. Es nützt ja nix und ich komm dann doch trotzdem irgendwann dran.

Manchmal lese ich dann das Goldene Blatt und erfahre, mit wem Stephanie von Monaco gerade um die Zelte zieht oder ob die englischen Prinzen inzwischen geschlechtsreif sind. Auch übt man sic hin diesen Räumen im Zurückstarren und spontan Loslächeln, wenn man quer durch den Raum von einer unter Lockenwicklern festgeschraubten Oma fixiert wird. Es ist ganz erstaunlich, wie so ein giftiger Missgunstblick in ein bebrücktes Rituallächeln umgewandelt werden kann, wenn man sich nicht irritieren lässt. (Wenn es mich irritieren würde, von irgendwelchen verbitterten Gestalten grundlos, anhaltend und missgünstig genauestens beobachtet zu werden, könnte ich kaum bloggen.)

ohne Voranmeldung Heute tat ich es dann: Ich rief an und fragte nach einem Termin. Halb rechnete ich ja damit, dass es wieder passieren würde: Sie würden mich fragen, ob ich das Schild denn nicht gesehen hätte, auf dem extra steht, dass man keinen Termin braucht. So wie sie mich immer fragen, warum ich keinen Termin vereinbart habe, wenn ich vor dem Schild stehe. Stattdessen hörte ich nur so ein Beamtenschnaufen (“Das geht ja heute nun gar nicht mehr! Wir haben viel zu viel zu tun!”) und konterte halbherzig: »Aber ich will doch nur die Wimpern gefärbt kriegen und die Spitzen geschnitten ….«

»Aha!« Mit einem energischen Aha hatte ich nicht gerechnet, damit konnte ich nicht umgehen und wiederholte mein Anliegen der Einfachheit halber, denn mit Wiederholungen habe ich in so Beamtensituationen ganz gute Erfahrungen gemacht. Am anderen Ende hörte ich mehrere weibliche Stimmen und schließlich erkundigte sich Frau X bei mir: »Sie sind die große Dame mit den ganz langen Haaren, richtig?” - »Richtig.« - »Dann kommen Sie um halb 5 dran.«

Sprach’s und hängte ein. Nie würde ich Widerspruch wagen, außerdem musste ich jetzt sowieso was bloggen, nachdem ich gerade verkündet hatte, dass ich das Blog in den Winterschlaf gleiten lasse. Warum also nicht dies extra Stündchen nutzen? Manche Dinge sind eben genau so, wie sie sind. Kein Grund, sie zu ändern.

[Alles lief wunderbar, ich kam pünktlich in den fast völlig leeren Salon, wurde sofort gefragt “ob ich es gerade noch geschafft hätte”, setzte mich zuerst an das falsche Waschbecken - das mit der kaputten Mischbatterie - und danach ging alles flott und nett und gut wie immer. 15,50 Euro Haareschneiden und Wimpernfärben. Mein Lieblingsfriseur. Da gehe ich so lange hin, bis ich traditionell und vom Alter (der Haarwurzeln) her eine Oma-Einheitsfrisur tragen müsste, mir dann aber eine Glatze schneiden lassen werde.]

3 Kommentare Haarige Angelegenheiten

  1. Avatar tom 23.12.2004 um 11:31 Uhr

    Mit Bildern sogar noch ein’ Tacken authentischer. Darf ich Fragen ob für die Bildqualität ein Mobiltelefon verantwortlich ist? Ich habe in der letzten GEO eine Werbung von der Magenta-Mafia bekommen, da sind Bilder auf den Mobilteilen drauf zu sehn die meine Mamiya 645 blass werden lassen.

  2. Avatar Melody 23.12.2004 um 14:31 Uhr

    Sigi: Danach haben wir mit Freunden zu Abend gegessen und ich hab’s vergessen und heute musste ich ausschlafen und jetzt sind sie hochgesteckt.

    Tom: Siemens SX1, gut geraten 😊

    Schönen Xmas-Countdown allerseits!

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