Es gibt Tage, die vergisst man nie. ...


Es gibt Tage, die vergisst man nie. Sie setzen einen vibrierenden warmen Punkt an diese gewisse Stelle direkt unter den Lungenflügeln, direkt oberhalb des Magens. Man verbringt sie in einer Trance, einem Nebel aus Adrenalin und brennenden Augen und jeder Atemzug kostet zusätzliche Kraft, denn es scheint nicht genug und doch zuviel Sauerstoff zu geben. Und dann gibt es diese Tage wie heute, wo man mich nach meinem Vornamen fragen könnte und nichts als einen stumpfen Gesichtsausdruck ernten würde, wenn ich nicht diesen kleinen grünen Wisch bei mir tragen würde, der mir bescheinigt, dass es mich wirklich gibt. Es gibt gerade jetzt in diesem Moment dreieinviertel Zillionen Dinge, die ich tun müsste. Und ich habe verdammt wenig Zeit dafür. Und was tue ich ... ich starre in den Monitor, als könnte er mich ansehen.

Wenn nicht immer mal wieder eine Katze durchs Bild klettern würde, bedächtig und tollpatschig zugleich, auf dem Weg nach oben auf den Bildschirm oder quer über die Tasten, wer weiss, ob ich überhaupt schon mehr als einen Satz geschrieben hätte. Wo wird Tzwenny schlafen beim Klapse-Treffen und kann man ihm ‘schlimmstenfalls’ eine einfache Luftmatratze zumuten? Wo ist die Datei mit den Zusagen geblieben? Habe ich genug Kissen? Werde ich jemanden finden, der noch ein Aufblasdings für die Doppelluftmatratze mitbringt, die ich immer noch nicht abgeholt habe? Was, wenn jemand eine Katzenallergie hat? Ich wollte das Waschbecken noch austauschen lassen, weil ich es doch mit einem Cremetopf aus Porzellan ziemlich zertrümmert habe und das werde ich nun niemals rechtzeitig schaffen. Was werde ich morgen anziehen und wieso können Katzen nicht einfach mal zwei Tage ohne Futter auskommen und machen gleich so einen blöden Aufstand?

Mühsam sammele ich die Fetzen dessen zusammen, was einmal mein Hirn war und jetzt nicht mal mehr zur Deko taugen würde. Sparrow hat zu-, Ducky abgesagt. Boris grüsst, und Florian aus Schweden hat mich heute in der Firma angerufen .... nur ganz fanatische Leser dieses Tagebuchs werden wissen, dass wir eine Praktikantin hatten, die sich sehr für Schweden interessierte und die ich dann an Florian als Brieffreundin weiterreichte, aber per Mail natürlich. So hat er mich in dem Moment angerufen, als mein zukünftiger Ex-Chef mit dem üblichen verbissenen Gesichtsausdruck direkt neben mir sass und an ein Gespräch wirklich nicht zu denken war, vor allem, weil neben mir auch noch eine Kollegin auf eine Info wartete… sorry, Florian - ich hab mich gefreut 😊))) aber das war leider schlechtes Timing.

Und dann kam die Dame aus der Kantine mit einem Eimer voll roter Schokoladenherzen, gab mir zwei und verteilte sie überall und wollte einfach partout nicht sagen, warum. Ich weiss, dass meine dunkelrote Seidenbluse gerade in der Waschmaschine eine Runde dreht und da gehört sie verdammt nicht hin ... und ich weiss auch, dass ich jetzt bald noch mehr rot angefärbte Sachen haben werde - wenn ich mich bloss erinnern könnte, was ich da mit hineingestopft habe und warum. Und dann ist da diese Coladose, die in meinem Eisfach explodiert ist und die mich anschreit, ich müsse jetzt sofort den Kühlschrank abtauen, aber ich kann nicht ..... ich kann einfach nicht. Ich kann nur hier sitzen.

Es sind Presse-Erwähnungen, Cyberia-Beiträge, Fragen und Vorwürfe und zu klärende Dinge in der Mail, aber wenn ich mir anschaue, was ich am Wochenende so an Rundmails verschickt habe (oh my god… wenn mich nach der Wegbeschreibung irgendjemand findet, ist er/sie sicher Pfadfinder/in), kann ich das einfach nicht noch mal riskieren. Und wenn ich bedenke, dass morgen der letzte Tag in diesem Job ist und übermorgen der erste in dem neuen und am Tag danach ist schon das Klapse-Treffen, das nahtlos in ein Wellen-
brecher-Treffen übergeht, bin ich wie betäubt.

Wenn ich die Augen schliesse, sehe ich meine Mutter und ihr perfekt blitzsauberes Haus. Mama, verzeih. In 99,9% aller Fälle schaffe ich das auch, wenn Besuch ansteht. Heute ist 0,1 😊

Ich glaub, ich nehm erstmal ein Bad.

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