Ein paar Monate hatte ich auf diesen ...


Ein paar Monate hatte ich auf diesen Termin gewartet. Die Praxis eines Schilddrüsenspezialisten summt wie ein Bienenkorb, man wird durch ständig neue Räume geschleust, angepiekt, gescannt, radioaktiv verseucht und muss Fragebogen ausfüllen - mir ging es heute so schlecht, dass ich eigentlich am liebsten zuhause geblieben wäre, aber der nächste mögliche Termin wäre dann im Februar gewesen und ich habe jetzt wirklich lange genug warten müssen. Mein Hausarzt hatte es schulterzuckend als völlig unwahrscheinlich abgetan, dass ich etwas an der Schilddrüse haben könnte. Der Satz “das hätten alle Dicken wohl gerne, dass es organische Ursachen gibt”, stand unausgesprochen und dennoch sehr präsent im Raum, der Mann ist eben nur ein durchschnittlicher Bundesbürger, nicht schlechter und sicher nicht intelligenter.

Diskriminierung nimmt man am Kragen, hält sie sich sorgfältig vom Leibe und geht dann drum herum. In diesem Fall führte der Weg zum Frauenarzt, der mir ebenfalls versicherte, da sei bestimmt nichts an der Schilddrüse, nein nein. Aber wenn es mich denn beruhigen würde, könne ich mich auch durchchecken lassen. Sogar eine Überweisung würde er in dem Fall machen, auch wenn er meinen würde, das könnte so eigentlich nicht sein. Äusserst gnädig, ich hatte schon gedacht, ich krieg hier gar nichts für mein Geld. Erst habe ich heftigste Beschwerden und muss selbst herausfinden, was es alles sein könnte und keinen der teuren Herren interessiert es die Bohne, wie es mir geht, anschliessend werde ich belächelt und dann mit einem Trösterchen abgespeist?! Danach habe ich also vier Monate gewartet, um heute diesen einzigen Spezialisten weit und breit heimzusuchen.

Langes Geschwafel, kurzes Fazit: Meine Schilddrüse gibt es eigentlich gar nicht, so klein und inaktiv ist die. Genau das ist auch der Grund für die zusätzlichen Kilos, nicht das Cortison. Der Arzt war ganz freudig erregt - weil er mir versprechen konnte, dass er mir richtig gut helfen kann. Fein. Wenigstens einer, der Spaß hat. Mir ist schwindelig. Keiner hat mir geglaubt, als ich sagte, da stimmt etwas nicht, soviel esse ich nicht, das sind nicht die ‘normalen’ Kilos zuviel. Alle wollten lieber glauben, dass ich persönlich da was nicht im Griff habe, mein Essverhalten nämlich. An der Last, die innerlich (virtuell sozusagen) von mir gefallen ist, habe ich gemerkt, dass ich es auch schon angefangen habe zu glauben: Immer müde, immer hungrig, immer dicker? Klarer Fall von selbstverschuldetem Kreislauf, yippie.

Denn zuviel zu wiegen ist die eine Sache. Kaum noch vorwärts zu kommen, Fotos zu machen, auf denen man nur noch schwabbeligen Hals sieht, fast nirgends mehr Klamotten einkaufen zu können und ständig überall Schmerzen zu haben, das ist eine andere. NEIN so war es bei mir nicht. Aber es wäre so gekommen, und zusätzlich hätte ich mich mit dem Gefühl des Versagens herumgeschlagen. Verdammte Falle. Dick sein ist nicht schlimm, wenn man selbstbewusst ist und gepflegt und die wirklich wichtigen Dinge gut im Griff hat: Ausbildung, Job, Einkommen, Freundeskreis, Gesundheit und an erster Stelle das Privatleben. Das setzt Zufriedenheit voraus, und wie soll man die haben, wenn man ständig müde ist, Schmerzen hat und zunimmt und deswegen auch noch schief angeguckt wird?

Die erste Person neben Oliver, der ich davon erzählt habe, war Feli. Sie sagte prompt “warum überrascht mich das nicht? so wie ich dich habe essen sehen, dürfte deine figur von den proportionen nicht viel anders sein als meine” und natürlich 😊 ist Feli sehr zierlich. Ob mich das nun tröstet, weiss ich nicht. Ich esse auch ganz gerne, und ich koche gut. Dass es nicht unglaubliche Mengen waren und dass ich gesund und vollwertig koche, das wusste ich zwar, aber geholfen hat mir das ja auch nicht ... Das Zweite, was sie sagte, war sehr treffend: Schilddrüsenprobleme werden halt sehr häufig als Ausrede für ungezügelte Gier genommen. Das denken sie alle, und wen man dann wirklich eins hat, hat man halt Pech und wird nicht für voll genommen. Soll ich Euch mal was verraten? Ich habe gar nicht geglaubt, dass ich eine Unterfunktion habe, die mich von aller Schuld erlöst. Mir war nur klar, dass irgendwas verdammt durcheinander war.

Der Arzt hatte richtig leuchtende Augen, es scheint eine Menge “Potential” vorhanden, mir konkret zu helfen. Muss toll sein, seufz. Na, dann warte ich jetzt mal die Ergebnisse der Blutuntersuchung ab, die Ergebnisse der Behandlung natürlich auch und freue mich schon auf das neue Leben, das man mir versprochen hat. Naja.

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