Don’t wake me up before they go go

Es muss um 10 Uhr 15 gewesen sein, als das Tor für Deutschland fiel, denn da fiel ich auch aus dem Bett, plötzlich hellwach von dem Urschrei der sich aufbäumenden Nachbarschaft. Herrje noch mal. Das ist doch nicht eure persönliche Leistung! Ein paar absurd hoch bezahlte haarige Männer haben gegen einen Ball getreten. Jeder einzelne Tritt der Gegenwert von dreizehn Monaten eines Durchschnittsgehalts - darüber sollte man weinen, wenn überhaupt irgendwas. Na gut, ich gebe es zu, aufregen kann ich mich auch nicht, dieser Massensport lässt mich einfach völlig leidenschaftslos. Bin nur schlecht gelaunt, weil das Wetter so nervig ist, weil ich länger schlafen wollte, weil ich auch einfach mal schlecht gelaunt bin, egal warum. Und warum soll ich das für mich behalten? Seh ich nicht ein.

Um den Haushalt habe ich mich natürlich NICHT prompt heute morgen gekümmert (siehe ersten Satz dieses Eintrags), aber der Gedanke hat offensichtlich einigen von euch gefallen. Es muss eine wahre Wonne für manche seltsamen Menschen sein, sich vorzustellen, wie ich meine elfenbeinweiße Haut mit Putzmitteln in Verbindung bringe und niedere hausfrauliche Tätigkeiten verrichte ... so wie ein fehlgeleiteter «Fan» dieser Seiten rhythmisch-hilflos zu dem Gedanken onaniert, dass ich ja eigentlich eine Sekretärin sei und es mir nur einbilde, mein Geld seit Jahren mit ganz anderen Angelegenheiten zu verdienen. Zweifellos zurückzuführen auf meine irgendwann mal stattgefundene erfolgreiche Ausbildung und Prüfung zur Europasekretärin oder wie das heisst, steht irgendwo in meinem Jobprofil auf der Haupthomepage.

Oder auf die Jobphase als Assistentin des Geschäftsführers vor zig Jahren? Auch egal. Mir ging’s nicht schlecht in jener Stelle, vor allem das sehr nette Gehalt einer qualifizierten GL-Assistentin passte schon recht gut und die selbstständigen Reisen auf Konferenzen im Ausland waren eine Zeitlang auch OK 😉 ich wollte jedoch langfristig eben andere, für mich persönlich interessantere Dinge tun beruflich ... und konnte das ohne familiären Anhang ja auch, musste keine große Show daraus machen und auch keine offizielle Finanz- und Lebenskrise inszenieren, um diese Möglichkeiten einfach mal anzutesten.

Ich weiß übrigens immer noch nicht, was ich werden will, wenn ich später mal groß bin. Und es geht mir wunderbar damit.

Aber ich bin dennoch irgendwie erstaunt, dass so eine Würstelgurke es offensichtlich als Demütigung und Beleidigung ansieht, jemand anderen SEKRETÄRIN zu nennen. Sekretärin/Assistentin ist ein Beruf und keine Lebensphilosophie. Gerade Leute, die offensichtlich nie eine Assistentin oder einen Assistenten beschäftigen werden, sollten nicht so voreilig in der Abqualifizierung dieser ja doch ziemlich anspruchsvollen Koordinationsaufgaben sein. Das muss irgendwie mit aus dem Ruder gelaufenen Machtansprüchen zu tun haben, manche Leute ohne (Macht) denken offensichtlich, dass Menschen aus Dienstleistungs-Jobs jeder Spielart ihnen automatisch untertan wären. Lachhaft. Mehr kann ich dazu wirklich nicht sagen, das erübrigt sich wohl.

Was den Haushalt angeht: Wenn der mich wirklich komplett ankotzen würde, würde ich ein paar Cent investieren und die lästigen Tätigkeiten outsourcen. Aber er nervt mich nicht mehr und nicht weniger als andere Leute auch von ihren ständig wiederkehrenden und im Endeffekt völlig witzlosen Alltagsaufgaben angeätzt sind. Staub ist eine sinnfreie Erfindung, das steht wohl fest. Wonnevolle Mails im Tenor “viel Spaß beim Kloputzen” finde ich verwirrend, verraten sie mir doch, dass manche andere das Klo wahrscheinlich eigenmäulig sauberlecken müssen, oder woher kommt so ein vermutlich entfrustender Gehässigkeitsausbruch? Auch dieser Schuss geht irgendwie weit vorbei, man kennt den Mechanismus dahinter ja irgendwann mal in- und auswendig.

Diese Art von Charaktersport/Hausfrauenhobby ist schon immer hochinteressant für mich als interessierte Beobachterin gewesen, auch in vorvirtuellen Zeiten: Da sitzt jemand, der hat die Möglichkeit, sein eigenes unzufriedenes kleines Leben zu ändern. (Es muss ja unzufrieden sein, sonst wäre er, sie oder es nicht so ein Charakterschwein.) Aber statt die eigenen Chancen durchzugehen und zu schauen, wo sich hoffentlich noch was verbessern lässt, wird bei anderen geschaut - oder eher gehofft, meistens - wo sie vermutete Schwachpunkte haben oder wie in diesem Fall “unangenehme” Dinge 😊 erledigen müssen.

Das ist doch Zeitverschwendung. Was hilft es mir, wenn ich mir einrede und es als bedenkenswertes Thema ansehe, jemand anderes müsse ja unzufrieden sein - statt mich darum zu kümmern, dass ich selbst mal was auf die Schienen setze? Das ist nichts weiter als Selbstbetrug 😊

Denn: Ich kann doch nur mein eigenes Leben leben. Korrektur: Streiche das «nur» und das «doch». Jeder kann sein eigenes Leben leben, sonst nix. Dabei hilft es mir nicht weiter, wenn ich mir wonnig vorstelle, wie XYZ hoffentlich unter ihrem ungnädigen Freund leidet oder YXZ seine Ausbildung vermutlich vermasselt hat oder ZXY vor fünfzehn Jahren wahrscheinlich mal einen Aushilfsjob als Kellnerin hatte oder was weiß ich.

Oder hilft es anderen Menschen, so zu denken? Lindert es den brennenden Schmerz, in diesem großen Universum voller Möglichkeiten und Chancen immer ein bisschen ein deplatzierter und desillusionierter Fremder zu sein? Hilft es bei Aua-Aua und gegen Erfolglosigkeit? Gegen Zahnweh, Zecken und PMS und sexlose Beziehungen?

Dann will ich mal nicht so sein. Ich werde diesen morgenmuffeligen Eintrag hier als Therapiehilfe für alle online setzen, die den geistigen Sprung in ihrer Vorstellungskraft nicht alleine schaffen, wenn es darum geht zu erkennen: Online-Tagebücher sind nicht nur Ascii, sie werden von MENSCHEN geschrieben. Im Normalfall nicht von anonymen Feiglingen oder von inszenierten Romanfiguren mit Perfektionsanspruch. Sondern von echten Menschen, die bunte und abwechslungsreiche Lebensläufe haben, ihr Geschirr spülen und ihre Wäsche waschen und dicke Haufen ins Klo scheissen. Zumindest, wenn sie leckeres vollwertiges Essen zu ihrer täglichen Verfügung und eine wohltuend geregelte Verdauung haben.

Mahlzeit.

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