Dieser Fisch macht mich fertig. Ich wollte ...


Dieser Fisch macht mich fertig. Ich wollte nur Lachssteak, nichts weiter - nachdem ich Oliver an Weihnachten dabei beobachtet habe, wie er hingebungsvoll rund 700 g Lachssteak der Reihe nach weggegrillt (und es aufgefuttert ...) hat, wollte ich für morgen abend zu den frisch gemachten grünen Bandnudeln, der Sosse mit gegrillten Krabben und frischen Champignons und dem selbstgemachten Tiramisu als Dessert nichts weiter als noch zwei, drei dieser rosa Scheiben. Dummerweise hatten wohl schon eine Menge anderer Leute diese Idee. Meine Kenntnisse über Fischläden in dieser Gegend lassen sich aufgrund mangelnder Fischleidenschaft meinerseits etwa so zusammenfassen: Ich musste andere Leute fragen, ob es welche gibt, und wenn ich sie gefunden hatte, schleppte gerade irgendjemand das allerletzte Lachssteak davon. In meiner Verzweiflung kaufte ich ihn dann: Den frischen kanadischen Wildlachs, ein ganzer schuppiger Fisch, gut ein Kilo. Iiiiieks. Was mach ich jetzt damit? In Scheiben schneiden und hoffen, dass sie in etwa so aussehen wie kleinere Steaks???

Gut, es hätte schlimmer kommen können, es hätte schliesslich auch Karpfen oder sowas ... ich bin dann noch etwas nervös geworden und bin noch einmal los, um ein paar solide Rindersteaks zu kaufen und Thunfischsteaks. Runde, nette Stücke, nichts mit einem geschuppten Schwanz.

Zwar verstehe ich nicht wesentlich mehr von Champagner als von Lachs, aber da ich gemütlich diverse ausprobieren durfte 😊 habe ich zumindest hier den perfekten Trunk für die Minute, in der der Kalender umspringt. Vielleicht üben wir auch nur für nächstes Jahr, wenn dann wirklich tausend Jahre um sind, aber diese Nullen hinten an der Jahreszahl, ich muss schon sagen, die ziehen einfach eine bessere Show ab als der besserwisserisch erhobene Buchhalterzeigefinger 😊))

Vielleicht feiere ich auch nur, dass dieses Jahrhundert endlich um ist. Und dass ich nun definitiv weiss, in welchem Jahrtausend ich sterben werde (es sei denn, meine Schaltkreise brennen um Mitternacht durch). Oder dass Weihnachten und dieser ganze Kram mal wieder überstanden sind und ich mir nicht mehr von lauter insgeheim unglücklichen und depressiv angehauchten Menschen (der Wechsel… die Millenniumsstimmung…. die lieben Verwandten…. zuviel Essen…) anhören muss, wie unglaublich toll sie doch drauf sind und wie ‘supi’ die Feiertage waren und wie geil die Silvesterparty wird und so fort, obwohl ganz deutlich zu spüren ist, dass eben nicht alles in Ordnung ist, dass jeder sein Päckchen mitschleppt, seine drückenden Gedanken und unbewältigten Problemchen hat, die hochgespült werden, wenn die Welt nach Harmonie schreit, man sich ungesund ernährt und obendrein noch Zeit zum Nachdenken hat. Wer ist schon glücklich, wenn alles im Umbruch ist, man muss schon superflach und abgedummt sein, um durchgehend zufrieden und wunschlos zu sein. Und ist etwa nicht alles im Umbruch?

Aber so wenig, wie ich je behaupten würde, zuckergussüberströmt und jubelhochjauchzend zu sein, wenn ich es nicht bin, so wenig ermuntere ich auch die Ichichis zu Gesprächen, ich hatte meine Überdosis schon. Ein Ichichi, das ist jemand, der grundsätzlich jede Aussage, jedes Schlagwort, jedes Thema an sich reisst und unter einem Guss aus “ich ich ich” begräbt. Ich tue dieses, ich fühle jenes, ich ich ich sehe die Welt so und so, ich habe immer schon dies und ich bin wirklich und ehrlich dies, das und jenes, ich ich ich. Das ist kein Gespräch, das ist ein Monolog, und zwar nicht die Sorte, für die man im Theater Eintritt zahlen würde. In den letzten Wochen bin ich mehrmals einer lieben Einladung gefolgt und sass dann vier oder fünf Stunden lang vor so einer Aufführung.

Es ist nicht so, dass ich jemanden jetzt weniger mögen würde als vorher oder so, aber ich beobachte mich dabei, wie ich misstrauisch zu analysieren versuche, wie diese Mischung aus Egozentrik, Einsamkeit, Rücksichtslosigkeit und Unsicherheit zustande kommt, um gegebenenfalls jeden Ansatz bei mir selbst zu eliminieren. Ich-ich-ich, das tut man in einem Tagebuch, richtig? In der echten Welt kann es langfristig nur zu freundlich lächelnden Masken um einen herum führen, die wohlwollend dem Gebabbel zu lauschen scheinen und in ihrem Inneren überlegen, ob sie noch zur Reinigung müssen und wann doch eigentlich der TÜV fällig ist (im Februar, danke sehr) und ob der Ichichi wohl auch nur die Hälfte seiner Geschichten selbst glaubt, und ja, das tun sie wohl meist.

Für mich selbst habe ich diese Geduld nicht. Ich arbeite zu viel, zu oft, an zu vielen Dingen. So etwa zwei, drei Arbeitstage vor den Feiertagen liess mein unermüdlicher, gutgelaunter, selten unausgeschlafener und in diesem Winter noch nicht mal ein bisschen erkälteter Körper mich dann ohne Vorwarnung im Stich. Der Druck auf den Brustkorb war so stark, dass ich nur noch liegen konnte, die linke Brusthälfte krampfte sich zusammen und ich bekam nur noch verdammt wenig Luft. Was soll ich sagen? Die Geister der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betrachteten mich mit dieser Mischung aus “ich habs ja gleich gewusst” und “das wird ihr eine Lehre sein” und “ob das Verdauungsbeschwerden sind?” Sie gingen mir wirklich auf die Nerven, wie sie so an der Fensterbank lehnten, mit dem Scannerkabel spielten und gelangweilt in den Ausgaben der Computerzeitschriften blätterten, die ich aufbewahrt hatte, weil ich darin veröffentlicht habe.

Ich hatte nicht wirklich Angst, weil ich irgendwie denke, ein Infarkt fühlt sich anders an (jaja ich weiss, woher soll ich das wissen). “Ihr könnt gehen,” schlug ich vor, aber die drei waren wohl der Meinung, ihr Job sei noch nicht vollbracht. Bis in die frühen Morgenstunden, nein eigentlich bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich wieder aufstand, lungerten sie herum und warfen mit schlauen Verallgemeinerungen um sich. Vergangenheit wurde dann irgendwann müde, sich in Erinnerung zu bringen, zu gross sind meine Gedächtnislücken, zu klein meine Bereitschaft, nach rückwärts zu leben. Gegenwart hat bis mittags immer mal wieder auf meinen Brustkorb gedrückt, um seine Argumente zu verdeutlichen. Triumphierend stand auch der kleine gallegrüne Neidmann in der Ecke, der hatte es ja gleich gewusst, dass das alles so nicht richtig sein konnte. Ich schnitt ihm im Vorbeigehen mit der Büroschere die Kehle durch, sollen sie doch alle erst mal selbst was erreichen, bevor sie mir etwas vergällen wollen… wie weggezaubert versickerte das gelbgrüne Gallert im Nu.

Nur Zukunft, den alten Zyniker, den werde ich so schnell nicht los. Einige Tage lang haben wir erbittert gestritten, aber ich glaube, jetzt habe ich meinen Frieden mit ihm gefunden. Es ist so eine Freundschaft, bei der man sich mal leidenschaftlich umarmt und herzt, mal spielerisch anrempelt, auch mal tagelang zufrieden gemeinsam herumhängt, sich schon mal genervt anschweigt, aber niemals die Tür endgültig zuschlägt oder ohne Gesprächsstoff dasteht. Zukunft hat auch irgendwie verstanden, dass Vernunft und geordnete Langsamkeit nie mein Leben sein können - lieber brenne ich schnell, knisternd und heiss, als wie ein Grablicht zu sein - geschützt und sorgfältig für eine lange Brennzeit aufbereitet.

Tja. Es gibt so Zeiten, da kommt man nicht darum herum, sich damit zu beschäftigen, wer man ist und wo man steht und warum. Wenn ich mich so umschaue und die Menschen genauer betrachte, die mir begegnen: Ich glaube kaum, dass es nur mir so geht. Dir wahrscheinlich auch. Auch wenn es vielleicht mal nur ein Abend, eine Dämmerungsstunde ist… fall nicht in Dein Feiertagsloch. Und wenn du dann so in groben Zügen wieder einsortiert hast, wo Du stehst und was Du bist, dann gehst Du am besten los und kaufst einen wunderschönen grossen silbrigen Fisch. Auch wenn Du ihn nicht essen magst, ist es irgendwie tröstlich, dass es sowas Schönes gibt. Und ich bin gleich doppelt so reich, denn ich habe jemanden, der ihn essen will (und hoffentlich auch weiss, wie er das anstellen wird).

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