Die Schuldmaschinerie

Ein für mich neues, aber nicht unerwartetes Phänomen ist DIE SCHULDMASCHINERIE. Im Zweifelsfall gegen die Angeklagte: Wer Mutter ist oder wird, muss Verantwortung für alles übernehmen, was mit dem Kind zu tun hat und darf verbindlich damit rechnen, für jedes Problem erst mal die Schuld zugeschoben zu bekommen.

Rechtfertigungen kann man sich jeweils vermutlich sparen, zu viel Spaß macht den ZuweiserInnen und FingerzeigerInnen dieses Gesellschaftsspiel, das genüssliche Auftrumpfen. Beobachtet habe ich das schon lange anderswo. Hatte auch schon die ersten Gelegenheiten, freundlich lächelnd die Zähne zu zeigen und Einmischtussis frontal abprallen zu lassen.

»Machst du dir keine Sorgen, dass du schon in Rente gehst, wenn dein Kind gerade Abi macht?« Antwort: »Nö. Extra dafür habe ich einen jüngeren Mann geheiratet, der kann dann meinen Rollator für mich mit auf den Abschlussball nehmen.« (Außerdem gehe ich fast 10 Jahre später in Rente, aber das hat ja mit der Intention hinter so einer bissigen Bemerkung eh nichts zu tun).

Das Kind ist krank? Die Mutter hat sich wohl nicht ausreichend um die Immunversorgung gekümmert. Hibbelig schon als Säugling? Sicher hat sie während der Schwangerschaft falsch gegessen (Mandelhörnchen?). Aufmüpfig, oder gar schwierig? Da wird sich nicht, zuviel oder falsch gekümmert.

Mama arbeitet? Rabenmutter. Mama arbeitet nicht? Nur doofe Hausfrau also. Mama arbeitet Teilzeit? Ja wozu hat sie dann ein Kind bekommen? (Vielleicht, weil sie eine Familie haben wollte und trotzdem Geld verdienen muss/will?)

Der Feind: Die besseren Mütter. Die keine Mandelhörnchen gegessen haben während der Schwangerschaft, dafür die Weisheit mit Löffeln gefressen und die Wahrheit gepachtet. Die kinderlosen Frauen, die exakte Vorstellungen davon haben, wie sie ein hypothetisches Kind viel besser, gesünder und sowieso erziehen würden als Leute es tun, die schon eins haben oder kriegen.

Hätte ich mit Höllenschmerzen und tonnenweise

Eiter

Eiweiß im Urin die Harnwegsentzündung durch Anzünden von Kräuterkerzen und Akupunktur bekämpfen müssen, statt in der Schwangerschaft Antibiotika zu akzeptieren? Im Krankenhaus war ich gar nicht mehr in einem Zustand, darüber zu entscheiden, jetzt aber höre ich ständig bedeutungsschwanger-dämliches »Also ICH hätte ja Angst, wenn ...«, als ob ich mir das Zeug nachträglich wieder rauszupfen könnte.

Wird es meine Schuld sein, wenn das Kind eine Allergie bekommt? Immerhin habe ich einen halben Chicken McNugget mitgegessen, und in der Panade sind Erdnüsse, was ich nicht wusste. Auch kleinste Spuren von Erdnüssen soll man vermeiden. Werde mich also vorsichtshalber schon mal in Schuldgefühlen wälzen. Nur zum Üben.

»Ach weißt du, wenn du erst mal das winzige Herzchen deines Kindes auf dem Ultraschall gesehen hast und wie schnell es schlägt, dann trinkst du auch keinen Kaffee mehr ...«

Giftpfeile mitten ins Hirn. Mit Wonne verschossen. Man möchte ja alles richtig machen, man will eine gute Mutter sein und ist deswegen (zunächst) offen, verletzlich. Früher hätte ich es aufgeschlossen genannt.

Aber das gibt sich relativ schnell, unter so einem Beschuss kann man nicht ungeschützt verbleiben:

Die Fingerzeiger, die Bedenkenträger und Bevormunder, das ganze Gelaber darüber, dass man nie wieder in Ruhe schlafen wird und die Begeisterung, mit der man ständig erzählt bekommt, dass alles ja eh noch schlimmer wird ... man lernt sie auszublenden. Das geht von Tag zu Tag besser und ist ganz sicher eine prima Vorbereitung auf eine Zeit, in der sowas die Einmischfinger nach dem geschlüpften Kind ausstreckt.

Aber wenn mir noch mal einer ungefragt und unerwartet auf den Bauch tatscht, wird ein Kiefer brechen. Und es wird nicht meiner sein.

12 Kommentare Die Schuldmaschinerie

  1. Avatar Lydia 06.09.2007 um 14:23 Uhr

    Du solltest Dich auf keinen Fall in Schuldgefühlen, sondern in Erdnussbrösel wälzen. Das sieht sicher netter. aus. 😊

  2. Avatar Thomas J. 06.09.2007 um 15:02 Uhr

    Unsere Eltern hatten früher auch keine Hemmungen, Kaffee, Erdnüsse und wasweißich zu sich zu nehmen, und wir sind (einigermaßen) normal geworden. Vermutlich weil keiner daran gedacht hat.

  3. Avatar Beatrix 06.09.2007 um 16:42 Uhr

    Wie jetzt - man soll während der SS keine Erdnüsse essen? DAS war wir völlig neu. Bin ich aber fein raus, da ich so etwas sowieso nie esse.

    Eine Theorie übrigens besagt, man soll so abwechslungsreich wie möglich essen - dann kann das Baby sich im Bauch schon an all die schönen leckeren Dinge gewöhnen und zeigt z.B. später weniger allergische Reaktionen auf die möglichen Inhaltsstoffe beim Stillen…

  4. Avatar Biggi 06.09.2007 um 16:51 Uhr

    Erdnüsse machen Allergie? kennt ihr diese Mr. Tom-Riegel? Bestehen nur aus Erdnüssen und Zucker oder so. Ich liebe diese Dinger. Und hab die in meiner _ersten_ Schwangerschaft täglich gegessen. Jeden Morgen in der Frühstückspause einen. Und manchmal sogar zwei.

    Jetzt weiß ich auch endlich, warum meine _zweite_ Tochter eine Allergie hat. Endlich, endlich hab ich den Grund. Denn das sind doch ganz sicher Spätfolgen. 😉

    Danke Melody. 😊

  5. Avatar Tina 06.09.2007 um 19:22 Uhr

    Weia. Da vergeht einem ja alles ...

    Ein Wunder, dass es überhaupt noch Menschen gibt, wo doch die werdenden Neanderthaler-Mamis, die sicher nicht mal wussten, was eine Schwangerschaft ist, geschweige denn, wie verantwortunglos sie sich verhalten, doch bestimmt massenhaft Rohmilch, Rohfisch und Nüsschen konsumiert haben. Immerhin gab’s da zwar bestimmt schon Fingerzeige, aber noch keine sprachlichen Ergüsse ... 😉

  6. Avatar annette 06.09.2007 um 21:33 Uhr

    ach, medikamente in der schwangerschaft - ich hab zwischen der 21. und der 24. woche drei wochen lang intravenös superheftige antibiotika wegen lungenentzündung gekriegt, deren erste gegenindikation jeweils, na, rate mal, “schwangerschaft” war.

    und heute hab ich eine zuckersüße und kerngesunde drei monate alte tochter ...

    ich wurde aber auch mehr als einmal gefragt, ob das kind denn jetzt gegen ebendiese (fünf verschiedenen) antibiotika resistent geworden sei.

    und die allergien darauf kommen bestimmt noch. ganz! sicher! 😉

  7. Avatar Marion 06.09.2007 um 22:34 Uhr

    Ich habe das schon mal gefragt, aber wann ist die normalste Sache der Welt (Kinder haben) eigentlich so anstrengend geworden? Und wann haben Frauen angefangen, sich gegenseitig anzufeinden, statt sich gegenseitig zu unterstützen? Kann man sich nicht einfach in Ruhe lassen und darauf vertrauen, dass die überwiegende Anzahl Mütter nichts tut, was ihrem Kind schadet?

    Hoffentlich hast du nicht vor, bei der Geburt eine PDA zu verlangen oder brauchst keinen Kaiserschnitt, denn da gibt es drei Kategorien von Müttern:

    1. Die wahren Heldinnen - ungebrochen in ihrer Tapferkeit, meist unterstützt von ihren Biosocken tragenden Ehemännern ertragen sie gemeinsam hechelnd 72 Stunden Hardcorewehen und entbinden auf natürliche Art. 😊 Eine andere Geburtsvariante brauchst auch du gar nicht in Betracht zu ziehen.

    2. Mütter mit PDA - na, da wird dann schon die Nase gerümpft, wieso man diesen natürlichen Vorgang denn nicht einfach mal aushalten kann.

    3. Kaiserschnitt - oh, du bist also ein Luxusweibchen, das den Geburtsterm mit dem Friseurtermin synchronisiert hat? Kaiserschnittentbinderinnen müssen sich mehr rechtfertigen als alles andere, warum sie diesen “easy” way gewählt haben. Das Kind lag falsch? Na, da hat man da denn wirklich ALLES versucht? Inzwischen ist jede Frau unter Generalverdacht, dass es sich um einen Wunschkaiserschnitt gehandelt haben könnte.

    Man könnte aber auch pragmatisch sein und sagen, dass es schlicht niemanden etwas angeht, wie man sein Kind zur Welt bringt. Dieser Pragmatismus ist nur leider nicht sehr weit verbreitet, denn auch bei diesem Thema redet einfach jeder mit…

  8. Avatar melody 06.09.2007 um 23:25 Uhr

    Marion, siehste, das ist nun wieder ein Thema, bei dem ich nicht im Traum darauf kommen würde, mit irgendwem meine Entscheidung zu diskutieren, wenn ich denn Gelegenheit hätte, aktiv eine zu treffen. (Auch eine PDA kann man sich übrigens nicht immer aussuchen - also dass man eine haben will.)

    Annette: Das beruhigt mich. Danke.

    Erdnüsse hat mir der Arzt empfohlen zu unterlassen. Also habe ich brav alles Erdnussige und auch das Einzige weggelassen, auf das ich ein Gelüst hatte: Erdnussflips. War aber vergeblich, denn wenn in der Panade der McChickendinger Erdnüsse sind, reicht das angeblich schon. Ich kann’s jetzt genau so wenig ändern wie die Antibiotika vor ein paar Wochen, lasse aber Erdnüsse weiterhin vorsichtshalber weg.

    Meistens sage ich übrigens gar nichts dazu, wenn ich dichtgelabert werde, es ist also nicht so, als ob ich da groß debattiere. Wozu auch - ich hab ja ein Blog, in das ich reinspucken kann, was mich nervt

    😊)))

  9. Avatar Susi 07.09.2007 um 00:30 Uhr

    lol

    ich bin die (im)perfekteste aller Rabenmütter. Ich koche nur selten Grünkern, lasse drei Kinder allein beim Kindsvater zurück während ich mutterseelenallein zweieinhalb Tage auf Seminar fahre, meine Kinder lieben Gummibärchen und hassen Müsli. Und was soll ich sagen: Sie sind selten krank, ziemlich schlau und lieben mich trotz allem. 😉))))))))))

  10. Avatar creezy 07.09.2007 um 11:32 Uhr

    Da fällt mir nur zu ein: in anderen Ländern gibt es ja die Traditon der Baby-Feten: da wird die Mutter noch vor der Geburt gefeiert, das Baby sowieso. Es gibt Geschenke en masse, die werdende Mum darf sich NUR gute Wünsche anhören und sich einen Tag wie ‘ne Queen fühlen.

    Auch in anderen Ländern üblich, nach der Niederkunft und Heimkehr des Babys wird im Hausflur die Tür bunt geschmückt mit kleinen Socken und Spielzeug, und damit auf die Heimkehr eines neues Erdenbürger hingewiesen wird. Dann stehen auch alle Schlange, bringen Geschenken und sprechen ihre Wünsche für das Baby aus und freuen sich über den neuen Mitbewohner im Haus.

    Alles keine Traditionen, die in Deutschland gepflegt werden. Warum wohl? Wir dissen hier lieber die Mütter und das Neugeborene, wenn es mal nicht durchschlafen kann.

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