Der Geburtsbericht

Kleine Tochter, die Ärzte hatten sich für dich einen Geburtstag Mitte Oktober ausgedacht, der zwei Wochen vor deinem errechneten Geburtstermin liegen sollte, damit du auch garantiert nicht unter Wehen geboren würdest. Ein primärer Kaiserschnitt an einem Montagmorgen sollte es werden, mit allen möglichen Spezialisten in der Nähe, für alle Fälle und Komplikationen. Schwierigkeiten erwarteten fast alle Ärzte von Anfang an und auch unsere Hebamme war der Meinung, dass ein geplanter Schnitt das geringste Risiko für dich darstellen würde.

Du hast dann noch exakt so lange gewartet, bis wir ein weiteres Zimmer unserer Baustelle halbwegs bezugsfertig gemacht hatten. Sobald das Bett stand und die letzten Steckdosen in der Wand landeten, hatte ich zum ersten Mal ein dumpfes wirklich schweres Ziehen im Unterbauch und einen gewissen Verdacht. Aber wenn man zum ersten Mal ein Baby bekommt, halten einen alle für etwas dämlich und so erfuhr ich von diversen Wissenden, dass man als Erstgebärende ständig denken würde, man habe Wehen. Es seien aber ‘Übungskontraktionen’ und die könne man wochenlang haben, ohne dass tatsächlich ein Baby dabei herauskommt und ich hätte ja noch fast vier Wochen Zeit. Aha.

Morgens um 7 Uhr am 3. Oktober erlebte ich eine ‘Übungskontraktion’, die mich fast in die Knie zwang und fragte im Kreißsaal des nächstgelegenen Krankenhauses an, ab wann denn Wehen echt seien. Wenn sie regelmäßig kämen, das sei bei mir aber ja wohl nicht der Fall – hieß es beschwichtigend und ich tat, was ich morgens um 7 eben immer so tat in den letzten Wochen dieser Schwangerschaft: Ich spritzte mir Heparin gegen das Thromboserisiko und versuchte, noch an eine Runde Schlaf zu kommen. Schlafen war seit ein, zwei Tagen fast unmöglich, ich hatte Wasser in den Füßen und fühlte mich unglaublich tiefer gelegt und da war dann noch ständig dieses Ziehen ...

Mittags stand ich auf und verspürte den unwiderstehlichen Drang, Sauberkeit um mich herum zu schaffen. Nein, ich habe natürlich nicht geputzt, ich war ja nahezu quadratisch durch deinen kleinen dicken Hintern, der mir vorne aus dem Bauch guckte – ich habe also nur dem Fensterputzer eine Mail geschrieben und wollte mich dann wieder hinlegen, als ich merkte, dass ich den ganzen Flur entlang eine Spur aus blutigen Tropfen hinterlassen hatte: Du hattest dir wohl gedacht, dass ein Feiertag ein guter Geburtstag ist und die Fruchtblase ein bisschen platzen lassen, aber rücksichtsvollerweise nur so, dass ich tröpfelte.

Ich wusste sofort, was ich nun dringend sofort tun musste: Flur wischen, dann Dusche und die Haare waschen, wer weiß, wann ich das nächste Mal dazu kommen würde. Vorher sagte ich noch deinem Vater Bescheid, der kreidebleich und zerzaust aus dem Bett kletterte und sich von mir quer durch die Wohnung dirigieren ließ, damit noch ein paar Drogeriewaren und Nachthemden in der immer noch nicht fertig gepackten Kliniktasche landeten. Dann klemmte ich mir ein Handtuch unter die Jogginghose, weil mir der Gedanke widerstrebte, das Auto vollzubluten – und wir fuhren zur Uniklinik.

Vorher hatte ich noch dort angerufen und uns angekündigt, woraufhin die Dame mit Telefondienst sich erkundigte, ob wir denn auch sicher seien, dass dein Köpfchen fest im Becken stecken würde - sonst hätte Gefahr eines Nabelschnurvorfalls bestanden und ich hätte dringend liegend abtransportiert werden müssen. Wir waren aber zwei Tage vorher beim Arzt gewesen, der mir erklärt hatte, dass du vorbildlich falschrum mit dem Köpfchen dort sitzen würdest, wo du auch hingehörst und bekamen grünes Licht für die Fahrt durch die Stadt.

Da du dir einen Feiertag ausgesucht hattest, konnten wir in einem Rutsch ungehindert durchfahren und ich fing an, mich wie verrückt darauf zu freuen, dich endlich kennen zu lernen. Nervös war ich auch, aber nicht so sehr, denn ich war zu sehr damit beschäftigt, die Wehen zu erfühlen, die ich ja gar nicht hätte haben dürfen und die immer stärker wurden. Im Kreißsaal landete ich auch direkt bei einer eifrigen Ärztin und wurde informiert, dass man den notwendigen Kaiserschnitt nun mal eben vornehmen wolle. Das musste ich aber ablehnen … es war leider noch nicht 12 Stunden her, dass ich mir Heparin gespritzt hatte und unser Termin wurde deshalb auf 20 Uhr festgelegt und ich bekam Antibiotika.

Das war am Nachmittag so gegen 3 und ich begann herauszufinden, dass Wehen wirklich nicht so romantisch sind, wie ich mir das vorgestellt hatte. Vor allem, weil ich ja eigentlich keine haben durfte. Ich kam an den Anti-Wehentropf, Oliver besorgte uns ein Elternzimmer und meldete uns ordnungsgemäß überall an, dann warteten wir. Ich tröpfelte blutiges Fruchtwasser und sollte sowieso liegen, die Stunden zogen sich endlos.

Um kurz vor 8 kam eine Hebamme und sagte uns, dass wir noch warten müssten: Es hätte einen Autounfall gegeben und die Chirurgen würden dort gebraucht. Wir kämen um 22 Uhr dran. Ein Notfall geht immer vor, dafür hatte ich Verständnis und klammerte mich ein bisschen fester an den Anti-Wehentropf, der inzwischen nicht mehr so richtig gut wirkte. Nur zwei Stunden, das wollte ich irgendwie schaffen. Du tobtest in meinem Bauch herum und hast mir über das CTG mehrfach ausrichten lassen, du wärst nun aber mal soweit. Nur hatte ich leider keine Wahl und wir mussten warten.

Um 22 Uhr kam eine andere Hebamme und erklärte uns, dass wir noch warten müssten: Es habe einen weiteren Unfall gegeben, die Chirurgen müssten ein Kind versorgen. Wir kämen auch dran, aber keiner wüsste genau wann und überhaupt sei es doch viel besser, wenn ich bis zum nächsten Morgen durchhalten würde – dann stünde ein frisches OP-Team zur Verfügung und nicht die Feiertagsbesetzung. Sprach’s und verschwand, ohne darauf einzugehen, dass ich seit dem frühen Morgen weder gegessen noch getrunken hatte.

Ein Notfall geht immer vor, dafür hatte ich immer noch Verständnis und war froh, dass ich ja offensichtlich keiner war. Die Nacht wurde dann noch ziemlich lang und Wehen finde ich jetzt auch nicht mehr interessant. Wenn man ein paar Male welche hatte, die einen vom Bett in seltsame Positionen fegten, reicht das irgendwie.

Der Anti-Tropf half so gerade mal eben bis zum Schluss. Am Morgen packte man mich dann auf eine Transportliege, in einen Krankenwagen und quer übers Klinikgelände in die Chirurgie. Dort warteten so viele Ärzte, dass mir ganz anders wurde. Wir wussten zu dem Zeitpunkt nicht, dass die meisten nur mal gucken wollten, weil in der Chirurgie so selten frische Babys auftauchen und so wirkte die grüne Truppe ganz schön … viel. Nicht, dass ich darüber lange hätte nachdenken können.

Ich wurde mit viel Trara verdrahtet und von der Hüfte abwärts betäubt, man hängte mir leider einen Vorhang vor die Brust, so dass ich nicht zuschauen konnte und dann merkte ich, wie man mich aufgeschnitten hat und in mir herumwurschtelte, um dich heraus zu ziehen. Es tat (da) natürlich nicht weh, aber ich merkte schon genau, was vor sich ging.

Man holte ganz kurz vor dem Schnitt wie erbeten auch noch Oliver in den OP. Sehen konnte er aber auch nicht mehr als ich.

Dann fühlte ich, wie etwas … Rundes? … von mindestens drei Händen aus meinem Bauch gezogen wurde und wir hörten, wie du sofort energisch »Quääph Quääph!« gemacht hast, so dass ich plötzlich felsenfest davon überzeugt war, dass es dir prächtig geht. Auch dein Papa hatte Tränen in den Augen stehen, als wir dich zum ersten Mal hörten und er durfte dich dann abholen. Für kostbare 30 Sekunden hast du mir deine winzige Hand und dein aufwärts gestrecktes Näschen gezeigt, mehr konnte ich nicht sehen und dann musstest du aus dem klirrend kalten OP zu den notwendigen Untersuchungen gebracht werden. Oliver ging mit, er hatte mir versprochen, dich nicht alleine zu lassen.

Anschließend wurde ich ungefähr eine Stunde lang zugenäht und in einen Aufwachraum geschoben. Für lange Zeit. Sehr lange Zeit. Die Schmerzen waren beträchtlich, der Kummer noch größer. Als ich endlich von den Krankentransporteuren abgeholt wurde, war ich in Tränen aufgelöst, weil ich dich immer noch nicht richtig gesehen hatte, obwohl du schon drei Stunden mindestens auf der Welt warst.

Die beiden jungen Herren orientalischer Herkunft fanden daraufhin, daran müsse man aber dringend etwas ändern und obwohl sie mich in den Kreißsaal bringen sollten zur Nachversorgung, fuhren sie mich stattdessen (nackt, frisch vernäht, nur mit OP-Laken zugedeckt, Tropf in der Hand und auf einer wackeligen Transportliege …) auf eine andere Etage zur Kinderstation und taten dann so, als hätten sie sich vertan, während einer der beiden zu den Babys flitzte und deinem Papa und dir Bescheid sagte, dass ich auf dem Flur bin.

Du warst so winzig klein, als du mir zum ersten Mal gereicht wurdest und ich werde nie vergessen, wie du dich schlagartig komplett entspannt hast, als du gemerkt hast, dass du nun bei deiner Mama bist.

Endlich, dachte ich nur noch. Und dir ging es wohl nicht anders. 

17 Kommentare Der Geburtsbericht

  1. Avatar Hans-Georg 15.12.2007 um 10:12 Uhr

    Dein Bericht ist wunderbar und du hat ihn hoffentlich auch “richtig” für die kleine Tochter aufgeschrieben.

    Deine Worte erinnern mich an die Geburt meines Sohnes vor 27 Jahren (4.12. 13.01 Uhr). Auch er wurde mit einem Kaiserschnitt geholt, was aber nicht geplant war.

    Wenige Minuten nach der OP hielt ich unseren Kleinen Sohn in den Armen. Die Hebamme fragte, ob ich ihn den waschen wolle, was ich in dem Moment nicht konnte. Sie liess uns dann eine Weile allein. Mit Tränen in den Augen sprach ich mit meinem Sohn. Allein der Gedanke daran macht mir immer noch feuchte Augen - genau wie jetzt auch wieder.

    Meine Frau wurde währenddessen klinisch versorgt. Sie hatte damals eine Vollnarkose. Sie erinnert sich auch nicht mehr daran, dass ich zusammen mit Oilver bei ihr war, als wie wieder wach war.

    Heute ist er ein erwachsener Mann, der bis jetzt problemlos durch das Leben gegangen ist - was auch hoffentlich so bleibt.

    Vor 10 Jahren habe ich meine Familie verlassen und lebe seitdem mit einem Mann zusammen. Aber mein Sohn ist nach wie vor das Liebste, was es in meinem Leben gibt. Und wir, also mein Mann und ich, verstehen uns prächtig.

  2. Avatar Lydia 15.12.2007 um 14:22 Uhr

    Danke, dass Du das mit uns geteilt hast. Ich kann nachempfinden, was Du wohl gefühlt haben musst, als Du so alleine gelegen bist und nicht gleich zu Deiner Tochter konntest. Ich musste vor 6 Jahren auch recht lange warten, bis ich mein Kind endlich sehen konnte. Kuscheln war leider nicht, aber wenigstens an ihrer Hand konnte ich sie berühren.

    Schwangerschaft und Geburt sind ein Wunder, das wir Frauen erleben dürfen. 😊

  3. Avatar Katrin 16.12.2007 um 00:19 Uhr

    ein sehr schöner Bericht. zum schluß spielten mir meine Schwangerschaftshormone den üblichen Streich und ich konnte ein paar Tränchen nicht verkneifen… 😊

  4. Avatar Biggi 16.12.2007 um 00:38 Uhr

    danke für diesen Bericht. Bringt hervor, was man eigentlich sowieso nie wieder vergisst. aber ich habs nach fünfzehn Jahren noch mal neu gefühlt. Das ist ein Geschenk.

  5. Avatar Lumi 16.12.2007 um 02:35 Uhr

    Danke 😊

    Das war ja geradezu abenteuerlich was ihr da erlebt habt. Wehen die hat man wenn man sie haben darf sind schon nicht so sehr erbaulich ... welche zu haben die nicht sein sollen stelle ich mir noch um einiges unerquicklicher vor.

    Merk dir das schonmal vor, die eigen-sinnige Frauenlinie deiner Familie hat ihre Fortsetzung in eurer Henrietta gefunden. Es ist wunderbar und erschreckend zugleich das live und in Farbe zu erleben. Geniesst alle Zeit, die Babys werden wirklich sehr schnell groß wenn sie erst mal geschlüpft sind 😊

    Ich kann mich dran erinnern als das losging mit den Wehen (und ich durfte ohne Einschränkung), ich hab mich gefreut, dass es nun endlich so weit war, ich war so neugierig auf unsere Tochter.

    Was mir schier den Atem nahm, war die Wucht dieser Energie mit der sie auf die Welt drängte.

    Das konnte ich niemandem erklären wie sich das angefühlt hat. Die schlagartige Erkenntnis darüber was es tatsächlich bedeutet ein Kind auszutragen und zur Welt zu bringen, das (schmerzhaft) größte Wunder was es für mich auf diesem Planeten überhaupt gibt.

    Und wirklich komplett egal ob nun Spontangeburt oder Kaiserschnitt, ich täte im Falle des Falles noch heute dem Erfinder desselben die nackten Käsefüße küssen wenn dafür nur alles gut gegangen wäre.

  6. Avatar Cecie 16.12.2007 um 09:56 Uhr

    oooh, ich muss auch weinen…. vor rührung… so viel angst und so viel schönes gefühl am ende.

    danke, dass du uns hast teilhaben lassen!

    liebe grüsse, silke

  7. Avatar creezy 16.12.2007 um 10:39 Uhr

    Aber für vier Wochen zu früh, war sie doch gut beieinander oder? Erschreckend finde ich wie lange sie Dich ohne Dein Kind gelassen haben, das sollte nun heutzutage wirklich anders laufen. Ein Hoch auf das orientalische Entführungszenario! Irgendwo ist immer etwas Herz zum Glück.

  8. Avatar Petra 16.12.2007 um 17:16 Uhr

    So schööön. Ich auch Tränchen, nämlich bei der Stelle, als die drei netten Männer dich zu der Kleinen gebracht haben. Sowas Rührendes traut man vielen Menschen gar nicht zu.

  9. Avatar Jeanie 17.12.2007 um 00:44 Uhr

    Danke für diesen wunderbaren, offenen und spannenden Bericht über die Geburt… Solche Momente vergißt man nie! Aber die ganze Nacht in Wehen liegen, die man eigentlich nicht haben sollte/dürfte ist schon heftig! Und 3 Stunden warten zu müssen, um sein Baby in den Arm zu nehmen noch viel mehr! (Wie schön, daß es noch Menschen (Männer dazu!) mit Herz gibt!!) DAS Gefühl kenne ich leider… meinen Kleinen haben sie mir damals direkt nach dem Kreißsaal weggenommen und per Hubscharauber in eine ansdre Stadt verlegt - und es dauerte 2 Tage!! bis ich ihn endlich anschauen durfte! In den Arm nehmen dauerte dann nochmal 2 Wochen…

    Schön, daß es Eurer kleinen Henrietta so gut geht!

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