[Es gibt so viele andere Dinge, die ich eigentlich hier, jetzt und heute tun müsste. Aber da ich jetzt schon den ganzen Morgen an eine ehemalige Bekannte denken muss, entnehme ich mir die Zeit zum Aufschreiben aus diesem vollgestopften Tag. Paula nenne ich sie jetzt mal. Wir kannten uns ein paar Jahre lang ganz gut, fuhren zusammen um die Häuser und gingen tanzen mit “der Clique”, die aus mehreren sehr unterschiedlichen Mädchen bestand. Vor allem eins hatten wir gemeinsam: Keine von uns war unter 180 cm groß, und wir liebten lange, laute Nächte.]
Die platinblonde Paula war anders. “Etwas fehlt” sagte Helga, die Paula irgendwann mitgebracht hatte. So konnte man das sicherlich auch beschreiben und mir war das nicht wichtig, denn mir fehlte auch etwas, die Verbindung zur gesichtslosen Wand aus Gleichaltrigen nämlich, die ich kaum auseinander halten konnte in ihrem Bestreben, cool individuell zu sein. Darüber, ob Paula wirklich etwas fehlte oder ob wir nur zu viel im Kopf hatten, darüber dachte ich damals gar nicht nach.
Paula war immer mit dabei. Sie ging zur Schule, machte eine Ausbildung und auch einen Führerschein. Das ging zwar alles etwas langsamer und kostete oft mehr Mühe, aber es ging alles doch immer irgendwie, wenn die Ziele nicht zu weit gesteckt waren. Ich erinnere mich daran, dass wir uns nie anders mit ihr unterhalten haben als mit jeder anderen Gleichaltrigen und vor allem erinnere ich mich an lange Nächte, in denen wir im Auto saßen und Liebeskummer hatten mit den dazugehörigen endlosen, sich im Kreis drehenden sehnsüchtigen und völlig bekloppten Selbstzerfleischungsgesprächen.
Nach den Nächten im Index, in der Morgendämmerung. Manchmal saßen die Jungs sogar ein paar Meter entfernt in ihren eigenen Autos und man sollte doch meinen, dass so eine Verfolgung uns auf den Gedanken gebracht hätten, dass sie das Interesse erwiderten, aber mitnichten: In dem Alter waren wir wohl komplett betriebsblind in diesen Angelegenheiten und wer weiß, wofür das nun wieder gut gewesen ist.
Paula war der Überzeugung, dass ein bestimmter amerikanischer Schauspieler in sie verliebt sei und nachts heimlich ums Haus fahren würde, um ihr Zeichen zu geben, und ich war auch nicht wirklich besser dran mit meiner Sehnsucht nach einem James-Dean-Surrogat, der sich bei der ersten tatsächlichen Begegnung von Fleisch auf Fleisch als schlabberlippige Mogelpackung entpuppte.
Paula hatte als eine der ersten einen Führerschein und trank keinen Alkohol. Als ich zu der ‘Clique’ stieß, lernte ich schnell, dass immer Paula fahren ‘musste’. Sie tat das auch und anfangs beobachtete ich nur, wie sie eine nach der anderen abholte und herumkutschierte, wenn wir ausgingen, ohne dass sich jemals jemand mit einer Benzinbeteiligung oder ähnlichem anbot. Irgendwann sagte ich es ihr dann: Dass es nur fair sei, wenn man sich auch mal abwechseln würde, jetzt, wo ich und M und K und T und sogar A auch einen Führerschein hätten und sie solle das doch einfach mal ganz klar sagen. Ich würde am nächsten Wochenende alle abholen und am übernächsten M und ab jetzt sollten wir uns abwechseln.
Sie hörte mir sehr aufmerksam zu und ich konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Kopf ratterte. Dann bedankte sie sich bei mir für den Tipp und beim nächsten Mal erklärte sie der ganzen ‘Clique’, jetzt seien die anderen dran mit fahren. Alle akzeptierten das auch sofort.
Paula ist nie wieder gefahren, um jemanden abzuholen.
Sie hatte sofort verstanden, dass es nicht in Ordnung war, wenn immer nur sie fuhr - aber dass sie dann bei einer “abwechselnden” Regelung auch ab und zu Fahrdienst haben würde, das gefiel ihr dann nicht mehr und das akzeptierte sie einfach nicht.
[Daran muss ich immer denken, wenn Menschen nur jenen Änderungen gegenüber aufgeschlossen sind, von denen sie unmittelbar profitieren.]
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