Untermieter

Herr Schmidt hatte sich inzwischen darauf eingestellt, nicht mehr alleine zu hausen. Auch auf die neuen Sanitäranlagen – er sah sauberer aus, rasierter. An sonnigen Herbsttagen auch einige Jahrzehnte jünger, vielleicht wenn er sich an andere Lebensphasen erinnerte. Über dreißig Jahre hatte er in diesen Räumen verbracht, sicher hatte er auch nicht immer so schwer getrunken, sonst wäre er nicht 80+ geworden.

Seine besten Jahre hier müssen die frühen 60er gewesen sein, er sah gekämmt und gesund aus und roch nach Apfelschorle und nicht nach Klarem, seine Kleidung war sportlich und er wirkte wie auf einer zufriedenen Durchreise. Zum Ende hin vegetierte er nur noch, schwankte zwischen zusammengepresster Höflichkeit und fast schon Randale.

Einmal erwischte ich ihn mit Mitte bis Ende 40, die Haare mit Gel nach hinten gestrichen in einem fein gestreiften Hemd – man konnte ihm ansehen, dass er sich für einen Frauentyp hielt mit den dackelfeuchtbraunen Augen und dem oberflächlich jungenhaften Blick, dem man das Abgenutzte ansah. Schnell legte er den erprobten flachen Charme in die Lachfältchen und machte artig den Weg frei mit einer übertriebenen Geste, die als Scherz durchgegangen wäre, hätte der halbjunge Schmidt nicht zu einem Drittel in der Wand gestanden dabei.

Bei der nächsten Begegnung schwankte er wieder kahlköpfig und wollte sich mit mir unterhalten. Darüber, was für ein fescher Kerl er doch gewesen sei, nehme ich an. Mir schwebte allerdings ein ganz anderes Thema vor – ich hatte etwas erfahren über ihn.

1 Kommentar Untermieter

  1. Avatar creezy 03.10.2006 um 15:40 Uhr

    Sehr schön … jetzt brennen wir alle vor Neugierde …!!!

    Die Beschreibung war so schön, ich wollte schon um ein Foto bitten – aber das ging wohl nicht … 😉

HINWEIS: Kommentieren ist in diesem Eintrag nicht mehr möglich.