Sechs Stunden hat es gedauert, aus jedem ...

Sechs Stunden hat es gedauert, aus jedem Winkel dieser Wohnung alle PC-Zeitungen herauszuholen (nein, deine nicht, Olli - relax *g*) und nach Name und Datum zu sortieren, jeden Online- und Internetartikel herauszufischen (es sei denn, es war eine reine Inet-Zeitung, klar) und diese dann abzuheften und den anderthalb Meter hohen Berg Altpapier zu entsorgen. Uffz. Bin ich froh, dass ich das nicht selbst gemacht habe! Ich wäre ausgerastet.
Eigentlich habe ich mir ja vorgenommen, für den Rest meines Lebens sorgfältig zu vermeiden, dass jemand mir auf irgendeine Art und Weise beruflich “assistiert”. Nur keine Wiederholungstäter - bloss niemand, an den man sich gewöhnt oder der sich an das Geld gewöhnt und es als regelmässig und sicher voraussetzt. Schuld an dieser schroffen Abwehr ist ... nennen wir sie mal Hulda ... eine Dame, von der ich fälschlicherweise annahm, sie könne ein Teamsekretariat führen. Ein Märchen, das versteht sich von selbst, reine Fiktion.

Es war einmal vor einer Million von Jahren in einem fernen fremden Land, da bat ich Zauberer um Hilfe, mir einen guten Geist bereit zu stellen. Ich rieb an der Lampe, der Flaschengeist erschien ... und mein Wunsch wurde erfüllt, noch bevor in Bagdad die Sonne aufging. Wie das so ist mit den Wünschen, sie haben immer einen Haken. Devot in der Bewerbungsphase, verwandelte Hulda sich in einen hysterischen Klumpen Frustration und Missgunst, noch bevor (!) sie den Job auch nur angetreten hatte und teilte mir per E-Mail mit, sie wisse ja genau, dass ich zukünftig die “Drecksarbeit” auf sie abwälzen würde.

Zu diesem Zeitpunkt war ich noch milde überrascht und zu gestresst, um wahrzunehmen, dass man die Wechseljahre anderer Leute keinesfalls unterschätzen darf. Ich antwortete leicht gereizt, dass ich es unglaublich freundlich finden würde, wenn sie zumindest erst mal eine einzige, klitzekleine Erfahrung mit mir gesammelt hätte, bevor sie sich so dämlich äussert. Wie es zu erwarten gewesen war, brach sie heulend zusammen und entschuldigte sich unterwürfig - um ohne jeden Übergang mitzuteilen, sie müsse leider bereits am zweiten Tag ihres Anstellungsverhältnisses einen Anwaltstermin mit ihrem Exmann wahrnehmen, bei dem es um das Sorgerecht ginge. Nur ein Unmensch kann es einer alleinerziehenden und nach 15 Jahren Erziehungsurlaub in den Beruf zurückkehrenden Mutter verwehren, so einen Termin wahrzunehmen. Richtig? Leider bin ich kein Unmensch.

Ihr habt es schon erraten, Hulda hatte in den folgenden Wochen nicht nur diesen einen Termin. Mal kam sie später, mal ging sie früher, mal brach ihr Wagen zusammen, mal ihre Mutter. Mittagspausen dehnten sich ins Unermessliche, zumindest für mich, die ihre unverschämten Gören im Drei-Minuten-Takt am Telefon hatte: “Mama ist nicht da? Kann nicht sein. Ich hol einmal tief Luft und versuchs noch mal.”

Mein Hinweis, dass es nicht als normal zu bezeichnen ist, wenn jemand im ersten Monat in einem neuen Job 14 private Termine wahrnimmt, die zum größten Teil während der Arbeitszeit stattfinden, endete mit einer dauerschmollenden stummen Hulda. Eine Erlösung, denn mein eines Ohr hatte bereits begonnen, sich abzulösen. Leider mussten wir dann doch wieder reden, nämlich als die klebrige Dreckschicht auf ihrem Schreibtisch begann, eine eigenen Lebensform zu entwickeln. Die gerissene Taktikerin Hulda erstickte die behutsam geäusserte Kritik mit einem schluchzend und unerträglich devot vorgebrachten “Der Chef hat gesagt, ich kann so viel von dir lernen, das weiß ich echt zu schätzen”, räumte einmal den Dreck von rechts nach links und warf drei von 7 gebrauchten Plastikbechern weg.

Ein Ablenklungsmanöver, schon klar. Die wahre Rache bestand darin, dass Hulda fortan demonstrativ und sehr wirksam fror. Niemand kann sich in einem gnadenlos überheizten Büro konzentrieren. Ich zerfloss in Kopfschmerzen und künstlich erzeugten Hitzewallungen - und Hulda entschwand permanent aus der von ihr raffiniert angelegten Sauna, um zu schwatzen, zu rauchen und auf dem Flur zu plappern. Pünktlich in der Sekunde, in der ich das Fenster aufriss, kehrte sie jeweils zurück, um in lautes Wehklagen auszubrechen - so konnte sie nicht arbeiten. Wer merkte schon bei der Müllhalde, die sie um sich aufhäufte, dass ohnehin sehr vieles liegenblieb? Nur ich, aber das merkte sie wiederum nicht.

Wir steuerten auf einen grandiosen Showdown zu, aber nicht vor meinem einmonatigen Urlaub aus angesammelten Überstunden, bitte schön. Als ich wiederkam, fand ich dreckige und zerklebte (vorher neue) Briefumschläge unter ihrem Schreibtisch und der Heizung vor, die - vom Eingang aus deutlich sichtbar - dort schon Wochen zwischen heruntergefallenen Stiften und einzelnen gebrauchten Haftzetteln klebten. Nichts, also auch wirklich nichts von dem war erledigt, was ich kurz vor knapp noch übergeben hatte, dafür maulte sie mit Schaum vor dem Mund, weil die EDV-Abteilung den Zugriff auf ihre private Mailadresse im Web gesperrt hatte. Ihr Schreibtisch war so dermassen überkrustet, dass es kaum noch auffiel, dass sie wochenlang kaum irgendwas ausgepackt hatte, das angeliefert worden war. So hatte sie natürlich auch keinen Überblick und es gingen schon mal wertvolle RAM-Chips verloren oder eine schweineteure Tonerkartusche wurde doppelt bestellt.

Mit ausgefahrenen Krallen und bösartigem Schielen huschte sie um mich herum und wurde ständig nervöser, weil ich nur milde lächelte. Das Hulda-Problem hatte sich für mich nämlich von selbst erledigt: Ich hatte mich entschlossen, die Stadt auf einem fliegenden Teppich zu verlassen. Nicht wegen ihr, aber ihre Person half doch sehr dabei, es nicht eine Sekunde lang zu bereuen.

Und so ergab es sich, dass ich mich davon fern halte, dienstbare Geister für längere Verpflichtungen zu rufen und mich auf kurze Gastspiele beschränke. Auch diese Zwischenerlebnisse wären Stoff für viele, viele orientalische Märchen, oh ja. Aber lassen wir das. Diesmal hat alles gut geklappt, ich kann wirklich nicht meckern.

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