Zeit der Rückblicke, Zeit der guten Vorsätze

Sogar wenn man sich nichts vornimmt, weiß man doch genau, wie die guten Vorsätze lauten sollten, wenn man denn welche hätte. Ich auch. Zum Beispiel finde ich, dass man sich nichts vornehmen sollte ab einem bestimmten Datum oder zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern es jederzeit sofort umsetzen sollte, wenn man etwas Bestimmtes erreichen will. Ein Vorsatz gegen gute Vorsätze, sozusagen.

Das ist natürlich nur Theorie, die Praxis wird von der Realität überlagert. Wenn man sich beispielsweise vornimmt, jeden Tag eine Stunde zu lernen oder zu schreiben, Sport zu treiben oder zu lesen, so kann man damit zwar ohne jede Verzögerung beginnen - doch der Alltag wird sich täglich dagegenstemmen und wenn aus dem Vorsatz keine lieb gewonnene Gewohnheit wird, zerbröselt er sich ganz von selbst wieder.

Wir müssen gar nicht so viel darüber reden, um wie vieles aufwändiger es ist, eine Gewohnheit zu haben im Vergleich zu einem Vorsatz, es ist etwa derselbe Unterschied wie anderen beim Küssen zuzusehen oder selbst eine hingebungsvolle Zunge im Hals zu haben. Nur dass man sich nicht vornehmen muss, lange und gut zu küssen, das passiert eben einfach immer dann, wenn man Lust darauf hat.

Lust auf etwas zu haben ist sowieso ein Faktor, den man nicht unterschätzen sollte. Hat man keine oder wird sie einem gründlich ausgetrieben, ist die Motivation recht groß, grundsätzliche Veränderungen herbei zu führen.

Wer bis hierhin gelesen hat, ist übrigens zum eigentlichen Beitrag vorgestossen.

Irgendwann im Sommer (2005) stellte ich zähneknirschend fest, dass inzwischen immer – aber auch wirklich immer – eine drängende unbezahlte Aufgabe auf mich wartete, wenn ich gerade gerne etwas Zeit für mich gehabt hätte.

Und zwar waren das durchgehend Aufgaben, die nichts mit meiner Entscheidung zu tun hatten, meine Zeit in sinnvollen Projekten einzusetzen, statt online nur herumzudümpeln.

Im Gegensatz zur aktiven Beteiligung am Netz waren das ganz andere und bei weitem nicht so sinnvolle Baustellen, Altlasten nämlich. Im Laufe der fast 10 Jahre mit eigener Homepage habe ich diverse nichtzahlende Gäste auf meine Webserver genommen, vielen Sites den entscheidenden Schwung verpasst, bin im Bekannten- und Verwandtenkreis zur Beraterin mutiert und schon seit langer Zeit zur Anlaufstelle für die kleine Website nebenbei geworden. Im letzten Sommer hat man sehr schön merken können, dass jetzt wirklich alle im Internet sind und dort auch irgendwas erreichen möchten, denn nun wollte ständig irgendjemand irgendwas, und zwar hartnäckig. Außerordentlich hartnäckig sogar.

Bedrängen funktioniert ja sowieso ziemlich gut bei mir: Nichts macht es mir einfacher, einen Kontakt zu beenden, als wenn ich massiv unter Druck gesetzt werde, damit sich das Leben in seinen mich betreffenden Details geschmeidig den Vorstellungen anderer Menschen anpasst. Das ganze bescheuerte Jahr 2004 bestand online praktisch nur aus Personen, die irgendwas von mir erwarteten - meistens eine Reaktion, die sie dringend für ihr schwächelndes virtuelles Ego brauchten (und genau so reagierten die allesamt dann auch, wenn ich nicht entsprechend handelte). Diesen Filz zurückzulassen war wohltuend, befreiend und half obendrein gegen alle fünf typischen Erkältungsbeschwerden, Verschleimung inklusive.

Den Berg scheinbarer Verpflichtungen hatte ich allerdings eigenhändig erbaut und ihn abzutragen war wesentlich aufwändiger. Es ist erstaunlich, wie manche Menschen reagieren, denen man einen Gefallen getan hat, wenn man ihnen danach aber keinen weiteren mehr tun möchte. Einige (nicht alle) reagieren mit völligem Unverständnis, ähnlich einem kleinen Kind, dem man unerwartet einen Schnuller wegnimmt. Man kann doch nicht einfach aufhören, was soll das denn? Besonders gefallen hat mir in mehreren Fällen das Argument, man habe doch keine Zeit, sich selbst mit diesen Dingen zu beschäftigen.

Noch erstaunlicher ist, wie schwer es mir fällt, einfach Nein zu sagen. Es wird aber mit jedem Mal einfacher.

Das waren zwei von meinen fünf großen Verschiebungen in 2005: Sinnvolle Projekte umsetzen. Virtuelle Altlasten abbauen.

Eine weitere Änderung ergab sich von selbst, größere Sorgfalt in Bezug auf Bekanntschaften nämlich (endlich) und damit verbunden eine richtig schöne lange Phase mit alten und neuen Kontakten on- und offline.  Lohnend, persönlich bereichernd, spannend, interessant und einfach nur sehr nett.

Ein guter Nebeneffekt von Stressabbau und Entschlackung der to-do-Liste besteht darin, dass man Menschen wieder richtig wahrnehmen kann und die Ruhe hat, sich auf einzelne ‘einzulassen’. Vielleicht gibt es überhaupt gar nichts anderes, das sich tatsächlich lohnt. Der allgegenwärtige dumpfe Hype, besser als irgendwer anderes sein zu wollen oder zu sollen, kann das jedenfalls ganz klar nicht. Wenn man mal bewusst einen Schritt davon zurücktritt, lässt sich das gut erkennen.

War es also ein gutes Jahr?

Jawoll. Das war es. Viel erreicht, viel getan, vieles bewegt und nicht nur im eigenen Saft geschmort. Menschen, die zu vermissen sich lohnt, Projekte mit Nährwert, Raum für Experimente und vor allem und immer wieder ausgesprochen nette Kontakte. Es war richtig schön. So kann’s bleiben. Besser werden darf es natürlich auch.

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