Meine Mailbox läuft über zum Thema Schlankheitswahn ...


Meine Mailbox läuft über zum Thema Schlankheitswahn und ich müsste viele Antworten schreiben. Habe nicht die geringste Lust. Das Thema ist kristallklar gegliedert in

  1. Selbst-Akzeptanz und Körpergefühl, zwei innerdeutsche Raritäten
  2. Ungezügelte Abscheu und Diskriminierung gegenüber dicken Menschen

... aber natürlich, solange Frauen mit 5 Pfund Reiterhosen sich für schwerwiegende Problemfälle halten, solange kann ich kaum erwarten, dass jemand dermassen zwischen meinen Zeilen liest. Entschuldigung.

Ab wann eine Frau dick ist, kann ich nicht beantworten. Man kann aussehen wie ein Schwein auf Rädern mit einer Größe 40/42, wenn man nur klein und schlecht angezogen genug ist. Man kann hinreissend und verführerisch aussehen in einer Größe 48/50, wenn alles an der richtigen Stelle sitzt und gut getragen wird. Es ist sehr populär, verständnisvoll zu sein und zu sagen “Wir dürfen niemanden davon ausnehmen, sich zu dick zu finden. Wer unglücklich mit sich ist, darf sich so finden, auch wenn Leute mit echten Gewichtsproblemen über 10 Pfund Übergewicht nur lachen können.”

Bullshit. Wer bundesweit in jeden Autositz und jeden Bistrostuhl passt, in jedem einzelnen Klamottengeschäft der Republik mindestens 15 Teile anprobieren kann und ein Figurproblem vor allem daran festmacht, sich mit den Werbedamen in den Medien zu vergleichen und dabei Pölsterchen zu finden, hat wenig Anlass zu konstruiertem Unglück wegen “Übergewicht”. Man muss lernen, sich zu mögen und nicht herausfinden, wie man am schnellsten die meisten Teile von sich absaugen oder aufpolstern lassen kann.

Interessant ist übrigens, dass viele Frauen nach den Wechseljahren ausdrücklich Frieden mit ihrem Körper schliessen und man ihnen anmerkt, dass sie entspannt und gelassen mit sich umgehen. Die Erkenntnis dahinter, dieses “eigentlich bist du doch OK”, davon kann man sich durchaus auch vorher schon was abschauen.

Die Tatsache, dass die Gesellschaft versucht, ihre Schlankheitsnormen durchzusetzen, ist eine andere Geschichte. Da sitzt du im Büro oder in der Strassenbahn mit Tanten, die selbst mit der Geschäftsabwicklung auf dem Strassenstrich hoffnungslos überfordert wären und deren Intellekt haargenau am Rand dieser widerwärtigen künstlichen Krallen endet. Und sie möchten dich allen Ernstes unaufgefordert! beraten. In Sachen Ernährung. Dir mitteilen, wie sie ihr Gewicht halten. Als bräuchtest du Informationen von einem Menschen, der freiwillig einen Beruf ergriffen hat, mit dem er sich nicht alleine ernähren kann. Hallo?

Von den Talkshows und der “Imageförderung” dadurch muss ich kaum reden. Natürlich gibt es unter übergewichtigen Leuten genau so viele absolute Idioten, die ihre Mediengeilheit durch ein Bad in der Menge ausleben möchten, wie unter normalgewichtigen. Im Kopf des Zuschauerbreis bleiben dann bizarr angezogene Arbeitslose mit großem Maul pappen. Schönen Dank auch.

Oder die lieben Ärzte. Am besten beginnt man das Gespräch mit einem “Nein, dieses Problem hat nichts mit meinem Übergewicht zu tun, ich bin die Treppe heruntergestürzt”, sonst läuft man Gefahr, selbst mit angebrochenen Knochen bloss in einen Ernährungskurs der Krankenkasse geschickt zu werden (kein! Scherz). Da kommen Leute an, die allabendlich saufen und auch so stinken und die meinen, einem Mann mitteilen zu müssen, er hätte doch auch eine Schlanke kriegen können, warum er sich denn so eine Dicke antun würde. Das ist einer Frau passiert, die ich kenne - ich war dabei. Sie ist verdammt erfolgreich im Beruf, der besagte Trinker ist eigentlich gar nichts, wenn man es mal genau nimmt.

Und diese Diskriminierung ist es, die mich nervt. Die mich vielleicht gerade deswegen so beschäftigt, weil mich selbst sowas nicht besonders schlimm getroffen hat, andere in meinem Bekanntenkreis aber umso mehr. Ungerechtigkeiten haben mich immer schon wütend gemacht. Diese Diskriminierung gehört abgestellt. Das verschmilzt natürlich mit dem ersten Thema: du darfst so bleiben, wie du bist.

Wenn man mich wirklich rasend machen will, braucht man mir nur in klagendem Tonfall vorzuwerfen, ich sei ja auch keine typische Dicke und könne gar nicht mitreden. Es gibt keinen Typus. So wenig, wie jede dünne Frau Sexappeal hat. So wenig, wie jede Brünette studiert, so wenig wie jede Hausfrau ohne Beruf ist. So wenig, wie große Brüste automatisch schön sind, so wenig gibt es einen Typus. Grrrmpf.

Man merkt es vermutlich, ich habe von dem Thema fürs Erste genug. Nicht weil ich wirklich genug habe, sondern weil ich davon genug habe, mir hier die Mailbox noch parallel zu verstopfen 😉

P.S. Ich spreche hier durchgehend nicht von krankhaften Essstörungen. In diesem Zusammenhang interessiert es auch nicht, ob jemand zu dünn ist und zunehmen sollte - das kann man nicht vergleichen, die zu mageren Leute entsprechen nun trotzdem eher dem gesellschaftlichen Ideal, treffen auf wenig materielle Schwierigkeiten und werden keinesfalls auf eine so primitive Weise diskriminiert. Keinesfalls. Natürlich ist extremes Dünnsein auch ein Problem, aber eben ein komplett anderes.

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Spam mit der Betreffzeile “Diane Thought You Might Have Erectile Dysfunction” ist schon wieder beinahe kultig. “Hey Jochen, Silke meinte, vielleicht wärst du impotent - da mach dir mal nix draus, das geht dreissig Millionen Amerikanern auch so, und da gibt’s übrigens eine neue Wunderdroge!” Ah ja.

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