Es ist grau draussen. Mir ist kalt ...

Es ist grau draussen. Mir ist kalt und ich bin genervt und ich möchte, dass mir niemand mehr die Frage stellt. Seit 1997 habe ich einige hundert Male brav und nett geantwortet auf “Wie macht man das? Wie schreibt man ein Buch? Wie wird man Autor?” und ich mag jetzt nicht mehr. Erstens muss man das auch wissen ohne zu fragen, sonst wird das nie was. Zweitens finde ich es gruselig, dass jeder - aber auch wirklich jeder - sich mit dem Plan trägt, ein Buch zu schreiben und sagen darf man dazu nichts (sonst denkt noch jemand, man gönne es den anderen nicht *augenverdreh*). Drittens kann ich nur meine Meinung und meine Erfahrungen beitragen und finde es überflüssig, dass ich mir dann sofort so einen enormen Blubberschwall an “bei mir ist das aber so und so und ganz anders und ich kann und weiss sowieso alles besser” anhören muss. Will ich doch gar nicht wissen, herrjeh. Es gibt Millionen und Milliarden von Büchern und das ist herrlich so und meinetwegen kann jeder 5 schreiben, ich muss das ja nicht alles lesen. Aber diese Frage, ich mag sie nicht mehr hören. Es ist ein bisschen, als hätte man was Schönes gemacht und jeder Fremde kommt von der Straße hereingelatscht und macht graue Fingerabdrücke drauf. Man kann nicht einfach durch Abgucken eine allgemeine Formel entwickeln, die Kreativität eines anderen zerpopeln und sich selbst was Ähnliches nachbasteln, basta. So gibt es denn sicher auch einige hundert Wege, “Autor” zu werden und ich habe auch ewig und immer wieder darüber gesprochen und diskutiert und erklärt und meine Meinung gegeben, aber ich mag jetzt nicht mehr.

Wie ein riesiger Moloch frisst das Web sich vorwärts, Millionen von fordernden Unwissenden ohne echte Bereitschaft, sich auf ein Miteinander einzulassen, jeder will nur nehmen, lernen, kriegen und möglichst wenig dafür tun. Sich keine kostbare Zeit stehlen, sich nicht aufhalten lassen. In fast allen Mailinglisten ist eine Invasion der Geier und Zecken zu beobachten, die sich nicht einmal die Mühe machen, auch nur die grundsätzlichsten Dinge über das zu lernen, wovon sie gerade profitieren wollen. Gib auf Deiner Homepage deine Mail@ gut sichtbar an, und täglich erreichen Dich hingeschlampte Kurzmails von Fremden, die voraussetzen, dass man sich bereitwillig mit ihnen auseinandersetzt - die Wehwehchen kühlt, die Problemchen löst, die Texte probe liest, die Ohren leiht, den HTML-Code entwirrt. Es kostet Kraft, sich gelassen dagegenzustemmen, die negative Energie zu ignorieren und trotzdem nicht komplett dichtzumachen. Wie reagiert man auf Mails, die wachsende Hysterie ausströmen, weil auf die erste Nachricht nicht innerhalb von einem Tag eine Antwort kam? Was tun mit tobsuchtgefährdeten “WebmasterInnen”, die es für ihr gutes Recht halten, Hyperlinks zu tauschen? Darf man völlig verzweifelten liebeskranken Frauen sagen, dass sie der eigenen Beschreibung nach den Expartner mit beschränkter Klammeraffentätigkeit systematisch selbst verjagt haben (und dass sie mir bitte keine Word-Dokumente mit 200 Seiten mehr schicken sollen, in denen solche Geschichten aufgeschrieben wurden)? Immer noch zögere ich, wenn ich eine Mail unbeantwortet lösche. Aber ich lösche sie, manche jedenfalls.

Weil ich weiss, dass es nichts bringen würde zu antworten und weil ich die Zeit brauche. Schliesslich gibt es auch einige verdammt nette Cyberpeople da draussen 😉 und denen schreibt man sowieso schon viel zu wenig. Es hat keinen Zweck, den guten alten Zeiten hinterherzutrauern, als es noch so wenige Newbies gab, dass man sie problemlos einbrechen und zureiten konnte. Auch da gab es schon “Lernbehinderte” und Geier und Webzecken *g* so ist wohl das (virtuelle) Leben, und die ganz anderen, die sind halt neu. Sie empfinden es nicht als Zumutung, Mailinglisten mit 600 Leuten zuzuplärren, weil sie nicht wissen, wie man eine Software downloadet. Mama war schließlich auch immer für sie da und bügelt die Hemden, also hilft jetzt sicher auch wer. Einige lernen es dann auch nicht, wenn man es ihnen achtmal erklärt, ok, die erfahren es dann eben auf die harte Tour. Die wachsende Gereiztheit der hemmungslos gierigen Dummheit gegenüber fällt immer mehr auf, es geht vielen Netizens so, nicht nur mir. Schön, dass das Netz so groß ist und man in verschiedene Richtungen wachsen kann 😉 so kann man es sich leisten, den Spaß an der Freud zu behalten, auszuweichen und auch einfach mal abzuschalten, alles mit einer gewissen Distanz zu betrachten.

Nur diese Frage “Wie wird man Autor”, die brauche ich diese Woche bitte kein achtes Mal mehr. Fragt mich ab Montag wieder, ok?

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